Der Anspruch des Auftraggebers auf Nacherfüllung gegen den Architekten spielt in der Praxis keine zentrale Rolle. Wird dem Architekten eine Pflichtverletzung in Form einer mangelhaften Leistung vorgeworfen, macht der Auftraggeber regelmäßig einen Schadensersatzanspruch geltend. Hat sich der Mangel der Architektenleistung bereits am Bauwerk realisiert, erhält der Auftraggeber Schadenersatz, der sich aus den Sanierungskosten einerseits und den „Regiekosten“ andererseits zusammensetzt. Dabei wird regelmäßig nicht problematisiert, ob dem Auftraggeber ein Mängelanspruch vor Abnahme gegen den Architekten überhaupt zusteht. Es wird auch nicht näher betrachtet, ob – jedenfalls im Hinblick auf die „Regiekosten“ – eine Frist zur Nacherfüllung zu setzen war. Für den Architekten ist dies deshalb besonders problematisch, weil die Schäden im Zusammenhang mit der Erfüllung nicht dem Versicherungsschutz unterliegen; hierbei handelt es sich um sogenannte „Erfüllungsschäden“.
Es wird deshalb im Folgenden beleuchtet, ob dem Auftraggeber gegen den Architekten Mängelansprüche auch vor Abnahme zustehen (hierzu A.) und inwieweit dem Architekten die Möglichkeit der Nacherfüllung im Rahmen einer Planung bzw. Überwachung (hierzu B. und C.). einzuräumen ist. Schließlich werden die versicherungsrechtlichen Aspekte beleuchtet, insbesondere die Frage, ob die Einordnung der Ansprüche des Auftraggebers gegen den Architekten Konsequenzen für den Versicherungsschutz hat (hierzu D.)
A. Mangelanspruch vor Abnahme
Die Anwendbarkeit der Mängelansprüche vor Abnahme wird insbesondere für den Bauvertrag diskutiert.
I. Meinungsstand
Unstreitig ist, dass vor Abnahme die allgemeinen Rechte anwendbar sind. Der Auftraggeber kann also Schadensersatz nach § 280 BGB verlangen, wenn er durch eine Pflichtverletzung einen Schaden erleidet. Er kann vom Vertrag zurücktreten, § 323 BGB . Dies setzt voraus, dass der Unternehmer eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbringt und der Auftraggeber erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat. Hierbei ist zu beachten, dass die Frist grundsätzlich erst nach Eintritt der Fälligkeit zu setzen ist. Außerdem steht dem Auftraggeber das Recht zu, den Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen. Die rechtliche Grundlage hierfür ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen oder aus einer direkten bzw. analogen Anwendung des § 314 BGB .1
Streitig ist, ob die Mangelrechte vor Abnahme anwendbar sind. Hierbei geht es insbesondere um die Frage, ob der Auftraggeber das Recht zur Selbstvornahme hat (§§ 633 , 634 Ziff. 2 , 637 BGB ) sowie das Honorar mindern kann (§§ 633 , 634 Ziff. 3 , 638 BGB ).
Teilweise wird geltend gemacht, die Rechte aus § 634 BGB könnten erst nach der Abnahme eingreifen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass § 634 BGB das Ende des Erfüllungsstadiums und damit die Abnahme voraussetze. Bis zur Abnahme seien die Leistungen des Unternehmers reine Vorbereitungshandlungen.2 Hinsichtlich der Mangelhaftigkeit könne das Werk erst beurteilt werden, wenn es fertiggestellt sei. Bis dahin habe der Auftraggeber auch kein Recht, operativ in die Leistung des Unternehmers einzugreifen.3 Aus der sogenannten Dispositionsbefugnis ergebe sich außerdem, dass es allein Sache des Unternehmers sei, wie er den Erfolg herbeiführt. Er habe das Recht, eine mangelhaft begonnene Leistung zu verwerfen und neu zu beginnen.4 Eine Fristsetzung nach § 281 BGB oder § 323 BGB könne erst mit Abnahme gesetzt werden, weil vorher eine Fälligkeit nicht gegeben sei.5 Schließlich wird die Parallele zum Kaufrecht herangezogen: Das kaufvertragliche Mangelrecht greife erst mit Verschaffung der Kaufsache ein, so dass beim Werkvertrag entsprechend auf die Abnahme abgestellt werden müsse.6
Eine andere Auffassung will die Mangelrechte vor Abnahme uneingeschränkt anwenden.7 Zur Begründung führt diese Auffassung an, dass der Auftraggeber ein Interesse daran habe, einzugreifen, bevor ihm weiterer Schaden drohe. Diese Möglichkeit müsse ihm auch eingeräumt werden. Im Übrigen ergebe sich aus § 632a BGB , dass die Leistung des Unternehmers auch bereits vor der Abnahme mangelfrei sein müsse und durchaus einer Bewertung unterzogen werden könne.
Eine vermittelnde Ansicht stellt darauf ab, dass eine Anwendbarkeit der Mangelrechte jedenfalls dann angenommen werden müsse, wenn das Werk fertiggestellt sei bzw. die Leistungsgefahr vom Unternehmer auf den Auftraggeber übergehe.8 Der Auftraggeber dürfe bei einer berechtigten Abnahmeverweigerung nicht schlechter gestellt werden als der Auftraggeber, der die Leistung trotz entsprechender Mängel abnimmt. Bis zur Abnahme verletze der Unternehmer regelmäßig keine fällige Verpflichtung.
Der BGH hat sich ausdrücklich zu dieser Frage noch nicht positioniert. In der sogenannten Blockheizkraftwerk-Entscheidung9 hat der BGH zwar die Mangelrechte angewendet, obwohl eine Abnahme noch nicht erfolgt war, diese hatte der Auftraggeber verweigert. Hieraus wird teilweise der Schluss gezogen, der BGH habe die Frage bereits zu Gunsten einer Anwendbarkeit der Mangelrechte entschieden.10 Es erscheint zweifelhaft, ob dies wirklich zutreffend ist: Abgesehen davon, dass der BGH sich zur Frage der Anwendbarkeit in der Entscheidung nicht äußert, sondern sie schlicht annimmt, hat er in mehreren nachfolgenden Entscheidungen die Frage wieder ausdrücklich offengelassen.11 Es spricht deshalb mehr dafür, dass in der Blockheizkraftwerk-Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde lag, der jedenfalls die Anwendbarkeit rechtfertigte.
Ob eine Anwendung der §§ 634 ff. BGB vor der Abnahme tatsächlich generell verneint werden kann, erscheint zweifelhaft. In vielen Konstellationen dürfte es dem Auftraggeber schlicht nicht zugemutet werden können, die Herstellung eines erkennbar mangelhaften Werkes abzuwarten, ohne die Möglichkeit zu haben, einzugreifen. Deshalb ist ein praktisches Bedürfnis für die Anwendung der Mangelrechte nicht zu verkennen.12 Die Annahme, der Erfüllungsanspruch sei bereits begrifflich vom Nacherfüllungsanspruch zu trennen, kann nicht überzeugen: Beide Ansprüche sind auf eine mangelfreie Herstellung des Werkes gerichtet. Der Nacherfüllungsanspruch ist – bezogen auf den konkreten Mangel – ein Erfüllungsanspruch in modifizierter Form. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, wenn dem Auftraggeber die Mangelrechte im Stadium vor Abnahme vorenthalten werden.13 Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass dem Auftraggeber die Mangelrechte dann zustehen sollen, wenn er die Abnahme berechtigterweise verweigert hat. In diesem Fall darf er nicht schlechter gestellt werden, als derjenige, der die Abnahme trotz der Mängel erklärt hat. Es kann wohl nicht vom Besteller verlangt werden, dass er die Abnahme erklärt, obwohl er wegen der Mängel zur Verweigerung der Abnahme berechtigt wäre.14 Gleiches gilt auch für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung sowie für den Fall des Annahmeverzuges des Bestellers.15 Es gilt auch dann, wenn bereits vor der Abnahme feststeht, dass der Unternehmer den Mangel nicht beseitigen kann oder will.16 Es wird dem Auftraggeber auch nicht zuzumuten sein, von den Mangelrechten keinen Gebrauch machen zu können, obwohl ein schwerwiegender offensichtlicher Mangel vorliegt, dessen Beseitigung durch die Fortführung der Arbeiten unmöglich oder erheblich erschwert wird. Wird die Bodenplatte mangelhaft hergestellt, muss der Besteller nicht die Fertigstellung des Objektes abwarten, um seine Mangelrechte geltend machen zu können. Gleiches gilt, wenn die Abdichtung des Objektes mangelhaft hergestellt ist und der Unternehmer eine Mangelbeseitigung in den nächsten Wochen in Aussicht stellt. Es ist dem Auftraggeber nicht zuzumuten, das Risiko, einen Schaden zu erleiden, hinnehmen zu müssen. Neben dem praktischen Gesichtspunkt der Zumutbarkeit kann dieses Ergebnis auch der Wertung des § 323 Abs. 4 BGB entnommen werden: wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, kann der Rücktritt auch vor Eintritt der Fälligkeit erklärt werden. Der Gläubiger muss nicht abwarten, bis die Fälligkeit eingetreten ist und sich sein Schaden vergrößert hat. Wenn offensichtlich ist, dass bei Abnahme ein Mangel vorliegen wird, wenn dieser nicht unmittelbar beseitigt wird, ist nicht einleuchtend, dass der Gläubiger den Eintritt der Fälligkeit der mangelfreien Herstellung, nämlich der Abnahme, abwarten muss.