Wann ist Aufstockungsverlangen treuwidrig?

OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022 – 14 U 156/21 BGB §§ 242, 631 Abs. 1; HOAI 2013 § 7 Abs. 3

1. Eine Geltendmachung der Mindestsätze kann nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung vertrauen durfte und ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nicht zugemutet werden kann (hier bejaht).*)
2. Ein schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung kann auch dann vorliegen, wenn der Auftraggeber Voraussetzungen für gegeben hält, die eine Mindestsatzunterschreitung ausschließen, wie beispielsweise eine nicht vollständige Beauftragung aller Grundleistungen, so dass eine Honorarkürzung geboten sein könnte.*)

OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022 – 14 U 156/21

BGB §§ 242631 Abs. 1; HOAI 2013 § 7 Abs. 3

Problem/Sachverhalt

Ein Bauunternehmen (AG) unterbeauftragt 2013 ein Ingenieurbüro (AN) mit Planungsleistungen nach HOAI. Statt einer schriftlichen Honorarvereinbarung existieren lediglich wechselseitige Vertragsentwürfe, die das Honorar für die beauftragten Grundleistungen mal mit pauschal 170.000 Euro verpreisen (AN), mal mit lediglich pauschal rund 161.000 Euro (AG). Die ebenfalls unter Berufung auf „bestehende Vereinbarungen“ gestellte letzte Abschlagsrechnung i.H.v. knapp 170.000 Euro, die von einem fast vollständigen Leistungsstand ausgeht, wird vom AG, anders als zuvor, auf rund 161.000 Euro gekürzt. Als der AG hierbei bleibt, reicht der AN entsprechend seiner vorherigen Ankündigung Mindestsatzaufstockungsklage i.H.v. rund 114.000 Euro ein.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Aufgrund der erfolgten Beweisaufnahme geht auch das OLG von einer vereinbarten Vergütung i.H.v. rund 161.000 Euro aus. Die Berufung auf ein höheres Mindestsatzhonorar sei dem AN nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt: Gemäß BGH, IBR 2012, 35 verhalte sich ein AN widersprüchlich, der eine Pauschalvereinbarung unterhalb der HOAI-Mindestsätze abschließe und später nach diesen abrechnen wolle. Dies sei nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der AG auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut habe und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Mindestsatz-Differenzbetrags unzumutbar sei. So liege der Fall hier: Der AN habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, weil er wissentlich ein Pauschalhonorar unter den Mindestsätzen angeboten und unter Bezugnahme „auf die bestehenden Vereinbarungen“ abgerechnet habe. Der AG habe bei der Honorarvereinbarung die Kalkulation seines geschlossenen Hauptauftrags nochmals überprüft, um die zu vereinbarende Honorarpauschale zahlen zu können. Er habe sich daher bei Vertragsabschluss mit dem AN wirtschaftlich nur auf die Zahlung der vereinbarten Pauschale eingerichtet. Hierbei sei er nach oben Leitsatz 2 in seinem Vertrauen auch schützenswert. Eine nachträgliche Erhöhung der Honorarforderung um 50% sei dem AG nicht mehr zumutbar. Auch die Berufung des AN auf den Formverstoß würde daher zu einem unerträglichen Ergebnis führen.

Praxishinweis

Ein Lehrstück, wie über die Hintertür des § 242 BGB die gesetzliche Regelvorgabe mit „Billigkeitserwägungen“ de facto zum Ausnahmefall mutiert! Das OLG unterstellt dem AN offenbar, er habe von Anfang an fest beabsichtigt, in Höhe der Mindestsätze abzurechnen, was der zitierte Prozessvortrag indes nicht hergibt. Die vom AN behauptete höhere Honorarvereinbarung hat der AG stets negiert. Seine eigene Vergütungsvereinbarung mit dem Bauherrn hat der AG nicht „sich einrichtend“ im Vertrauen auf die Honorarvereinbarung mit dem AN getroffen, sondern zeitlich vorher. Und warum soll die Zahlung bloß des gesetzlichen Mindesthonorars unzumutbar sein, allein weil es die (streitige) Vereinbarung um 50% übersteigt? Ist also besonders schützenswert, wer das Honorar besonders tief „drückt“? Dank der jüngsten EuGH-Entscheidung (IBR 2022, 74) zur HOAI 2013 dürften solche Fälle die Gerichte noch eine Weile beschäftigen.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Andreas Berger, Mönchengladbach