Nachtragskalkulation: Wie berechnen sich die angemessenen Zuschläge auf die tatsächlich erforderlichen Kosten?

Bis zur bahnbrechenden Entscheidung des BGH vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18 war sich die obergerichtliche Rechtsprechung ganz überwiegend darin einig, dass die Vergütung für Nachträge beim VOB/B-Bauvertrag nach § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B nach Maßgabe der dem Vertrag zugrunde liegenden Urkalkulation im Wege der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung zu ermitteln ist. In Abhängigkeit von den (vor-)kalkulatorischen Annahmen konnte dies im Einzelfall zu einer Gewinn- oder Verlustmaximierung beim Auftragnehmer führen (OLG Koblenz, Urt. v. 24.5.2006 – 6 U 1273/03). Die Formel „Guter Preis bleibt guter Preis und schlechter Preis bleibt schlechter Preis“ war Ausdruck dieses Verständnisses.

Mit der vorgenannten Entscheidung hat der BGH mit dieser jahrzehntelangen Handhabung der Praxis gebrochen. Ausdrücklich hatte der BGH sich zwar nur mit der Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehr- und Mindermengen nach § 2 Abs. 3 VOB/B befasst. Seine diesbezüglichen Ausführungen werden aber von der ganz herrschenden Literatur und den Obergerichten so verstanden, dass sie jedenfalls auch auf die Ermittlung des neuen Einheitspreises von geänderten Leistungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B Anwendung finden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.2019 – 5 U 52/19; OLG Frankfurt, Urt. v. 21.09.2020 – 29 U 171/19).

Angemessene Zuschläge

Nach der neuen Rechtsprechung sind für die Bemessung des Preises von Nachträgen die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für die Allgemeinen Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn maßgeblich. Zentrale Überlegungen des BGH sind Gerechtigkeitserwägungen. Keine Partei soll dadurch, dass es zu Änderungen kommt, von der anderen Partei übervorteilt werden. Der BGH formuliert das so: „Die Anknüpfung an die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge stellt sich für keine der Vertragsparteien als zum Nachteil der anderen Partei wirkender Vorteil dar. Der Auftragnehmer erhält so für die relevanten Mehrmengen eine auskömmliche Vergütung. Es widerspräche Treu und Glauben, würde er aufgrund der nicht vorhergesehenen Mengenmehrung auf Kosten seines Vertragspartners einen über die angemessenen Zuschläge hinausgehenden Gewinn erwirtschaften oder der Auftraggeber von einem infolge der Mengenmehrung für den Auftragnehmer unauskömmlich oder unwirtschaftlich gewordenen Preis profitieren.“

Nach dem seit dem 01.01.2018 geltenden neuen Bauvertragsrecht sind auch bei dem BGB-Bauvertrag die tatsächlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für die Allgemeinen Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn für die Berechnung von Nachtragsforderungen maßgeblich. Gemäß § 650c Abs. 1 BGB ist die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Absatz 2 BGB vermehrten oder verminderten Aufwand nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln.

Gibt es einen prozentualen Zuschlagssatz, der als angemessen gelten kann?

Der Bundesgerichtshof hat keine direkten Hinweise dazu gegeben, welcher Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit zu wählen ist. In dem vom ihm entschiedenen Fall hatten sich die Parteien auf einen Zuschlag von 20 Prozent auf die direkten Kosten geeinigt, sodass der BGH auch keinen Anlass hatte, sich näher zu der Frage zu äußern, was unter angemessenen Zuschlägen zu verstehen ist. Es stellt sich daher die Frage, ob es einen prozentualen Zuschlagssatz oder zumindest eine Bandbreite gibt, die von den Gerichten künftig in Ansatz gebracht werden wird. Klar dürfte sein, dass die angemessenen Zuschläge sich nicht aus den vom Unternehmer im Vertrag kalkulierten Zuschlägen ableiten lassen können. Denn dann würde quasi durch die Hintertür doch die Kalkulation für die Bestimmung der Höhe der Vergütung maßgeblich. Nach dem Gesetzeswortlaut sind allerdings eindeutig nicht die ursprünglich für den Vertrag kalkulierten Zuschläge maßgeblich, sondern die hiervon zu unterscheidenden „angemessenen Zuschläge“.

In der Literatur werden sowohl abstrakte wie konkrete Überlegungen angestellt, wie die Angemessenheit der Zuschläge zu bestimmen sei. So wird u.a. vorgeschlagen, dass die Angemessenheit sich nach den üblichen Ansätzen der konkreten Unternehmen richten solle. Ein anderer Ansatz ist, die Angemessenheit der Zuschläge nach der Branchenüblichkeit zu bewerten. „Übliche“ Zuschläge sollten jedenfalls angemessene Zuschläge sein. Auch zum Rahmen der branchenüblichen Zuschläge wird vorgetragen, dass er bei den Allgemeinen Geschäftskosten zwischen 6 und 12 Prozent liegen solle und für Wagnis und Gewinn zwischen 1,5 und 5 Prozent. In einer Entscheidung des OLG Frankfurt hatte ein Sachverständiger einen Zuschlag auf die Kosten in Höhe von näherungsweise 20 Prozent im konkreten Fall als angemessen eingestuft. Dieser Einstufung war das Gericht gefolgt (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.09.2020 – 29 U 171/19).

Beispiel: Lohnkosten

Aus meiner Sicht lässt sich die Frage, was angemessene Zuschläge sind, nicht vorab konkret mit einer Prozentzahl und auch nicht mit einer definierten Bandbreite (z. B. von 15 bis 20 Prozent) bestimmen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die unterschiedlichen Kostengruppen (Löhne, Materialien, Geräte, Fremdleistungen) mit völlig unterschiedlichen Zuschlägen beaufschlagt werden (müssen), damit die Vergütung, die der Unternehmer erhält, auskömmlich ist. Die „Auskömmlichkeit“ der Vergütung wird in der eingangs erwähnten Entscheidung des BGH auch explizit erwähnt.

Der Zuschlag auf die Lohnkosten liegt regelmäßig weit über 20 Prozent. Zuschläge von 100 Prozent und mehr sind keine Seltenheit. Diese Zuschläge sind auf die Lohnkosten auch notwendig, um eine angemessene Vergütung zu erzielen. Das nachfolgende (vereinfachte) Berechnungsbeispiel ist einem aktuellen Gerichtsgutachten eines ö. b. u. v. Sachverständigen entnommen und betrifft die übliche Vergütung bei ortsüblichen Durchschnittslöhnen von Monteuren im Gewerk Rollladen- und Jalousiebau im Raum Stuttgart:

Die Selbstkosten des Unternehmers für den Einsatz eines Monteurs im Gewerk Rollladen- und Jalousiebau liegen im konkreten Fall bei 30,09 €/h. Sie berechnen sich (vereinfacht) wie folgt: Der Stundenlohn des angestellten Monteurs (brutto) liegt bei 15,90 €. Die Lohnnebenkosten betragen 14,19 €, sodass sich in Summe Selbstkosten des Unternehmers in Höhe von 30,09 €/h ergeben. Der vom Sachverständigen im konkreten Fall ermittelte angemessene Stundenlohn liegt bei 50,00 €/h netto. Bei Selbstkosten von 30,09 € netto bedeutet das also einen Zuschlag auf die Selbstkosten von 166 Prozent für die Allgemeinen Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn.

Würde man im obigen Beispiel einen Zuschlagssatz von 20 Prozent annehmen, dann würde der Zuschlag bei rund 6,00 €/h liegen und damit der von Unternehmer zu berechnende Vergütung für den Einsatz des Monteurs bei 36,09 € netto. Ein eingesetzter Monteur würde dann also bei einem 8-Stunden-Tag einen Deckungsbeitrag von 8 x 6,00 € = 48,00 €/Tag erwirtschaften. Bei angesetzten 230 Arbeitstagen pro Jahr ergäbe sich so ein maximal durch den Einsatz des Monteurs erwirtschaftbarer Deckungsbeitrag von 230 Tage x 48,00 €/Tag = 11.040,00 €/Jahr. Bei einem Zuschlagssatz in dieser Größenordnung wird schnell klar, dass es bei besonders lohnintensiven Nachtragsleistungen nicht möglich ist, mit Zuschlagssätzen von 15 – 20 Prozent zu operieren. Der Unternehmer würde Verluste einfahren, weil er bei lohnintensiven Leistungen mit einem solchen – viel zu niedrigen – Zuschlagssatz seine Allgemeinen Geschäftskosten nicht ansatzweise decken könnte.

Fazit

Das vorstehende Beispiel zeigt, dass es für die Frage, welcher Zuschlag angemessen ist, keine schematische Lösung geben kann. Die vom BGH postulierte auskömmliche Vergütung ergibt sich also nicht per se dadurch, dass auf die Selbstkosten ein Aufschlag von 15 bis 20 Prozent vorgenommen wird. In den Blick zu nehmen ist stets, mit welchen Produktionsmitteln konkret die Nachtragsleistung ausgeführt werden musste.

Marco Röder, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Mitglied der ARGE Baurecht im DAV