Hat hier die begriffsjuristische Trennung zwischen Erfüllung und Nacherfüllung zu einem Ergebnis geführt, das für die Praxis unbrauchbar ist? Ist der VII. Senat einer dogmatischen Verkünstelung auf den Leim gegangen? Oder hat die Praxis nur noch nicht erkannt, warum die Trennung richtig und wichtig ist, und muss nun erst lernen, wie man mit diesem Problem umgeht?
Um diesen Fragen nachzugehen, stellt Prof. Wolfgang Voit zunächst den Stand der Rechtsprechung zum Beginn der Mängelrechte kurz dar. Im Anschluss wendet er sich der Frage zu, ob der Besteller durch die Beschränkung der Mängelrechte in der Erfüllungsphase wirklich so hilflos ist.
I. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Beginn der Mängelrechte
1. Leitentscheidungen und ihre Aussagen
In seinen Leitentscheidungen stützt sich der BGH auf folgende Argumente, die für einen Beginn der Mängelrechte erst mit der Abnahme sprechen:
- Bis zur Abnahme ist es Sache des Unternehmers, wie er den Erfolg erreicht. Der Besteller kann vor der Fälligkeit des Anspruchs nur nach Maßgabe des § 323 Abs. 4 BGB vorgehen.
- Der Begriff „Nacherfüllung“ deute bereits auf ein gegenüber der Erfüllung verselbständigtes Stadium hin.
- Es bestehe ein erheblicher Unterschied zwischen § 635 Abs. 3 BGB , der dem Unternehmer bereits bei der Schwelle der Unverhältnismäßigkeit ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt, und den auf den Erfüllungsanspruch anwendbaren Bestimmungen des § 275 Abs. 2 und 3 BGB , die an die Unmöglichkeit der Leistung anknüpfen.
- Die Verjährung beginne mit der Abnahme.
- Der Besteller könne sich bei der Abnahme Mängel vorbehalten; sei also nicht zur Abnahme gezwungen.
2. Die Rezeption in der Instanzrechtsprechung
Die Rechtsprechung der Instanzgerichte folgt im Grundsatz der Linie des BGH und ergänzt diese lediglich. So entschied das OLG Hamburg, dass Mängelrechte wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens vor der Abnahme geltend gemacht werden können, wenn der Bauträger den Eindruck erweckt, die Abnahme sei erklärt. Das OLG Stuttgart sieht in der ernsthaften Störung des Vertrauensverhältnisses die Rechtfertigung für den Übergang in die Mängelrechte; das OLG Düsseldorf betont, kleinere Beeinträchtigungen schlössen die Fertigstellung des Werks nicht aus; das OLG München hebt hervor, auch ein Schadensersatzverlangen nach gescheiterten Vergleichsverhandlungen führe zu einem Abrechnungsverhältnis, weil der Besteller damit zeige, dass er kein Interesse mehr an der Erfüllung des Vertrages durch den Unternehmer habe. Grundlegende Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Beginn der Mängelrechte mit der Abnahme findet sich damit in den Entscheidungen der Oberlandesgerichte nicht.
II. Das Abrechnungsverhältnis als Voraussetzung für Mängelrechte ohne Abnahme
1. Erlöschen des Erfüllungsanspruchs als dogmatischer Ansatzpunkt
Der Bundesgerichtshof lässt von der Regel, dass die Mängelrechte erst mit der Abnahme entstehen, eine praktisch sehr wichtige Ausnahme zu, die an das Erlöschen des Erfüllungsanspruchs anknüpft. Erst wenn der Besteller diesen Anspruch nicht mehr geltend machen und auch nicht auf den Erfüllungsanspruch zurückkommen kann, besteht danach die Möglichkeit, Mängelansprüche geltend zu machen. Insbesondere reicht es dazu nicht aus, wenn der Besteller lediglich einen Vorschussanspruch geltend macht, weil dieser im Gegensatz zum Schadensersatzverlangen nicht dazu führt, dass der Erfüllungsanspruch untergeht.
In der Literatur wird diese Differenzierung innerhalb der Mängelrechte als Inkonsequenz gedeutet, weil der Besteller damit letztlich nicht alle Mängelrechte geltend machen kann: Der Weg zum Vorschussanspruch ist ihm versperrt; es sei denn er verzichtet auf die Möglichkeit, den Unternehmer auf Herstellung des mangelfreien Werks – sei es nun als Erfüllung, sei es als Nacherfüllung – in Anspruch zu nehmen.
Diese auf den ersten Blick eigentümliche Einschränkung der Bestellerrechte steht aber durchaus in der Tradition des deutschen Rechts, denn nach dem alten Schuldrecht musste dem Unternehmer eine Nachfrist gesetzt werden, nach deren Ablauf die Mangelbeseitigung durch den Unternehmer abgelehnt wird. Die Situation für die Mängelrechte vor der Abnahme ähnelt damit letztlich der Rechtslage vor der Schuldrechtsreform.
Die Lösung des BGH führt vor allem bei Verjährungsfragen zu einem erheblichen Vorteil: Die Frist für die Verjährung der Mängelansprüche beginnt mit der Abnahme oder mit dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs. Es ist damit ausgeschlossen, die Verjährungsfristen für die Mängelansprüche zu unterlaufen, indem noch auf den Erfüllungsanspruch zurückgegriffen werden kann. In diesem Punkt ist die Lösung des BGH auch den Lösungsansätzen überlegen, die an die Fälligkeit des Anspruchs an dem vereinbarten Fertigstellungstermin oder an die Aufforderung zur Abnahme durch den Unternehmer nach der Fertigstellung ansetzen. Diese Lösungsansätze müssten das Problem einer Verjährungsverlängerung durch eine andere Form der Synchronisierung mit § 634a BGB lösen.
Exkurs: Auswirkungen auf Sicherheiten
Was bedeutet diese dogmatische Konstruktion für die Sicherheiten? Auf den ersten Blick scheinen die Mängelansprüche vor der Abnahme durch die Gewährleistungssicherheit abgesichert, denn der Bundesgerichtshof räumt dem Besteller nach dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs die Mängelansprüche ein – und diese sind im Grundsatz Gegenstand der Gewährleistungssicherheit. Auf der anderen Seite zeigt aber der Vergleich mit der Abnahme unter dem Vorbehalt der Mängel, dass derartige Ansprüche noch als Ansprüche aus der Erfüllungsphase zu deuten sein können.
Maßgebend für die Antwort auf diese Frage ist zunächst die Formulierung der Bürgschaftserklärung. Lässt sich dieser Erklärung keine Antwort entnehmen, so spricht sich ein erheblicher Teil der Literatur dafür aus, dass die Erfüllungsbürgschaft und nicht die Mängelbürgschaft eingreift.
von Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolgang Voit, Marburg
– Ende des Auszugs –
Der vollständige Aufsatz „Keine Mängelrechte vor der Abnahme – Die Bedeutung des Erfüllungsanspruchs des Bestellers und des werkvertraglichen Abrechnungsverhältnisses vor der Abnahme “ von Prof. Dr. Wolfgang Voit erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2022, 339 – 349 (Heft 2a). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.