Die Bedeutung von Ästhetik und Geschmack für das Urheberrecht des Architekten

18.08.2021 – Beobachtungen in neuerer Rechtsprechung und öffentlichem Diskurs von Rechtsanwältin Anja Binder

A. Was ist Kunst?

Eine Definition von Kunst in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen widerspricht ihrem eigentlichen Wesen und entzieht sich damit einer gesetzlichen Definition. Bis heute existiert im deutschen Recht keine gesetzliche Definition von „Kunst“. Ebenso wenig ist es Rechtsprechung und Lehre bislang gelungen, eine allgemeine, rechtlich hinreichend genaue Definition zu entwickeln. Aus Gründen der Rechtsanwendung und der Rechtssicherheit war es für die Rechtsprechung dennoch unumgänglich, sich zumindest an einer formelhaften Definition zu versuchen.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG  gehören zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst „Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke“. Für die Urheberrechtsschutzfähigkeit von Architekten- und Ingenieurwerken ist dies die entscheidende Bestimmung. Wie sich aus der gesetzlichen Formulierung ergibt, handelt es sich bei Werken der Baukunst um eine Untergruppe der bildenden Künste. Will man also eine Aussage zu der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit eines Bauwerks treffen, kommt man um eine Subsumtion unter die Begriffe „Kunst“ bzw. „Baukunst“ nicht herum.

I. Der Definitionsansatz des Reichsgerichts

Das Reichsgericht umriss den Begriff „Kunst“ wie folgt:

„Kunst ist jede individuelle geistige Schöpfung, die mit den Darstellungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht und vorzugsweise für die Anregung des ästhetischen Gefühls durch Anschauung bestimmt ist, ohne Rücksicht darauf, ob das Werk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Gebrauchszweck dient.“

Dabei muss die schöpferische Leistung von solchem Rang sein, dass nach den „im Leben herrschenden Anschauungen“ noch von Kunst gesprochen werden kann. Maßgeblich ist hierbei „das durchschnittliche Urteil der für Kunst empfänglichen und mit Kunstdingen einigermaßen vertrauten Volksgenossen, wie sie sich in den verschiedenen Schichten des Volkes finden.“

II. Der Definitionsansatz des Bundesgerichtshofs

1957 nimmt der BGH erstmals umfassend Stellung zur Frage der Kunstschutzfähigkeit von Bauwerken. Bis heute bildet die „Ledigenheim“-Entscheidung die Argumentationsgrundlage der meisten Entscheidungen zum Bauwerksschutz.

Nach dieser Entscheidung liegt das Merkmal „Kunst“ vor bei

„einer eigenpersönlichen Schöpfung, die mit Darlegungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht ist und deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach den im Leben herrschenden Anschauungen der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Verkehrskreise noch von Kunst gesprochen werden kann und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Bauwerk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Zweck dient.“

Diese Definition ist seither ständige Rechtsprechung.

B. Kritik an der Definition der Rechtsprechung

Zu beobachten ist, dass im neueren Schrifttum an der vom BGH entwickelten Formel Kritik geübt wird. Im Zentrum der Kritik steht der geforderte „ästhetische Gehalt“, der als Schutzvoraussetzung eines Werkes zunehmend infrage gestellt wird. Dies aus folgenden Erwägungen:

I. Definition des Begriffes „Kunst“ mit der Kunst (Tautologie)

Teilweise wird dem Definitionsansatz der Rechtsprechung vorgehalten, dass er versuche, den „Kunst“-Begriff mit dem Begriff der Kunst zu erklären. Solche Definitionsansätze seien notwendig unpräzise und würden nichts zur Klärung des Begriffs „Kunstwerk“ beitragen.

II. Keine Objektivierbarkeit des ästhetischen Urteils

Um nach den Definitionsansätzen des Reichsgerichts und des BGH ein Bauwerk als „Werk der Baukunst“ qualifizieren zu können, muss ein „ästhetischer Gehalt“ festgestellt werden. In der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung wird der Begriff der Ästhetik dabei in den unterschiedlichsten Facetten verwendet. So ist zu lesen von dem „maßgeblichen ästhetischen Gesamteindruck“, dem „eigentümlichen ästhetischen Wert“, der „ästhetischen Wirkung“ bis hin zum „ästhetischen geistigen Gehalt“. Der Begriff der Ästhetik wird außerdem des Öfteren in Kombination mit positiv besetzten Begriffen wie „Schönheitsgefühl“, „Harmonie“, „gefällig“ etc. verwendet.

Rechtanwältin Anja Binder


– Ende des Auszugs –

Der vollständige Aufsatz „Die Bedeutung von Ästhetik und Geschmack für das Urheberrecht des Architekten“ von Rechtanwältin Anja Binder erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2020, 1858 – 1864, Heft 12)Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.