Der vom BGH mit Urteil vom 08.08.2019 (IBR 2019, 536) aufgestellte Grundsatz, dass für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind, findet auch bei der Ermittlung des neuen Einheitspreises von zusätzlichen Leistungen gem. § 2 Abs. 6 VOB/B Anwendung.
OLG Brandenburg, Urteil vom 22.04.2020 – 11 U 153/18
VOB/B § 2 Abs. 6
Problem/Sachverhalt
Der Auftragnehmer (AN) verlangt Restwerklohn für im Rahmen von erfolgten Nachträgen ausgeführten Baumfäll- und Rodungsarbeiten. Das Landgericht lehnt dies mit der Begründung ab, dass die Rückvergütung für gerodetes Holz Grundlage der Preisermittlung der Urkalkulation sei. Der Einheitspreis (EP) der Nachtragsleistungen bestimme sich entsprechend dieser Preisermittlungsgrundlage. Aus dem Angebot des AN gehe nicht hervor, dass es sich bei der Rückvergütung um eine einmalige Gutschrift handle. Das gerodete Räumgut gehe gemäß Leistungsbeschreibung in das Eigentum des AN über.
Damit sei eine eindeutige Risikoverteilung hinsichtlich des Umgangs mit dem Baumabschlag getroffen worden. Hiergegen wendet sich der AN mit der Berufung. Er führt aus, die Gutschriftgewährung sei zwar kalkulatorische Grundlage, könne sich aber nur auf die Angaben der Ausschreibung, d. h. die dort benannten Mengen, beziehen. Allein die Verwertung zu unterschiedlichen Jahreszeiten ergebe unterschiedliche Beträge, die nicht auf Mehrmengen bezogen werden könnten. Auch könne der vorgesehene Abnehmer die Mehrmengen nicht abnehmen. Das Gericht berücksichtige nicht, dass sich die Preisbildung nur auf die Qualität und Quantität der auszuführenden Leistungen nach den Angebotsunterlagen beziehe.
Entscheidung
Im konkreten Fall ohne Erfolg! Zwar teilt das OLG die Auffassung des BGH, wonach für die Berechnung der Vergütung gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die Urkalkulation nicht herangezogen werden kann, wenn sich die Parteien nicht hierauf geeinigt haben. Denn die Regelung enthält keinen Maßstab zur Preisbildung. Diese Lücke ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Aufgrund des gleichen Wortlauts spricht einiges dafür, die zu § 2 Abs. 3 VOB/B aufgestellten Grundsätze auch auf § 2 Abs. 5 VOB/B anzuwenden. Die Regelung des § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B macht trotz des Wortlauts, wonach sich der Preis nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung richtet, keine Ausnahme.
Der Rückgriff auf die Urkalkulation erfährt schon durch die Berücksichtigung der besonderen Kosten der geforderten Leistung eine Beschränkung, wobei offenbleibt, was mit „besonderen Kosten“ gemeint ist und auf welcher Grundlage sie berechnet werden sollen. Gleichwohl bringt die Bestimmung zum Ausdruck, dass das Äquivalenzprinzip gelten soll. Danach soll durch die unvorhergesehene Veränderung der auszuführenden Leistungen keine Vertragspartei eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren. Ohne konkrete Vereinbarung, wie der neue EP bemessen wird, sind somit die tatsächlich erforderlichen Kosten maßgeblich. Das hilft dem AN aber nicht: Die Parteien haben sich mit Ausnahme der Rückvergütung aufgrund der Verwertung des geschlagenen Holzes über die Elemente zur Berechnung des neuen EP geeinigt.
Praxishinweis
Der Auftragnehmer muss zu den von der Urkalkulation abweichenden tatsächlich erforderlichen Kosten konkret vortragen. Nach den Feststellungen des OLG legt eine Einigung den Schluss nahe, dass die tatsächlich erforderlichen Kosten den aus der Urkalkulation ermittelten Preisen entsprechen. Es lässt sich insoweit offenbar von § 650c Abs. 2 BGB leiten, wonach vermutet wird, dass die auf Basis der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung den tatsächlich erforderlichen Kosten entspricht. Dies ist jedoch für eine wirksame Einigung der Parteien weder im Rahmen der VOB/B noch im Rahmen des BGB Voraussetzung.
RAin und FAin für Bau- und Architektenrecht Dr. Birgit Franz, Köln