Ein Anscheinsbeweis kann (nur) dann angenommen werden, wenn Mängel vorliegen, die vom Architekten typischerweise entdeckt werden mussten, und ein typischer Geschehensablauf anzunehmen ist.
OLG Schleswig, Urteil vom 25.03.2020 – 12 U 162/19
BGB § 634
Problem/Sachverhalt
Der Auftraggeber begehrt die Zahlung eines Vorschusses zur Beseitigung eines Mangels an eingebauten Fenstern aufgrund einer behaupteten mangelhaften Planungs- und Überwachungsleistung des in Anspruch genommenen Architekten/Projektsteuerers. Die Fenster zeigten nach erfolgtem Einbau eine Blasenbildung und Abplatzungen am Lack der Fensterrahmen. Das Landgericht weist die Klage durch Teilurteil ab, nachdem über das Vermögen des ebenfalls verklagten ausführenden Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Der AG habe die behauptete mangelhafte Planung und Bauüberwachung nicht dargelegt und bewiesen. Insbesondere sei nicht vom Vorliegen eines Anscheinsbeweises zu Lasten des Architekten auszugehen.
Entscheidung
Das OLG weist die Berufung zurück und schließt sich der Auffassung des Landgerichts an, nach der die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises bezüglich einer mangelhaften Architektenleistung nicht vorliegen. Das OLG bestätigt die in Literatur und höchstrichterlicher Rechtsprechung anerkannten Grundsätze zur Annahme eines Anscheinsbeweises zu Lasten des bauüberwachenden Architekten: Ein Anscheinsbeweis kann danach immer nur dann angenommen werden, wenn Mängel vorliegen, die vom Architekten typischerweise entdeckt werden mussten (OLG Düsseldorf, IBR 2014, 744). Ein Anscheinsbeweis ist danach insbesondere dann anzunehmen, wenn nach der Art, Schwere und Erkennbarkeit der Mängel ein typischer Geschehensablauf anzunehmen ist, der dafür spricht, dass die Überwachung durch den Architekten mangelhaft ist (OLG Köln, IBR 2014, 285, mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 27.11.2008 – VII ZR 206/06, IBRRS 2009, 0005). Das OLG unterstreicht, dass im konkreten Fall ein solch erforderlicher typischer Geschehensablauf gerade nicht vorliegt. Der an den Fenstern vorhandene Mangel der abplatzenden Lackierung lässt gerade keinen typischen Geschehensablauf erkennen, der zum Vorliegen eines Anscheinsbeweises führen könnte. Unter Rückgriff auf das vorstehend genannte Urteil des OLG Düsseldorf prüft das OLG die Erkennbarkeit des gegebenen Mangels zum Zeitpunkt der geschuldeten Überwachungstätigkeit und kommt zum Ergebnis, dass von einer Erkennbarkeit gerade nicht ausgegangen werden kann. Weiter weist das OLG darauf hin, dass es für die Annahme eines Anscheinsbeweises gerade nicht ausreicht, dass an wesentlichen Bauteilen des Bauwerks Mängel auftreten. Wäre dies der Fall, würde sich eine ausufernde Garantiehaftung des Architekten für sämtliche Mängel der Bauausführung ergeben, die von der höchstrichterlichen Entsprechung gerade nicht beabsichtigt ist. Auch das Abstellen auf die Ursache des Mangels zur Prüfung, ob ein Anscheinsbeweis angenommen werden kann, führt nach Auffassung des OLG nicht zur Annahme eines Anscheinsbeweises, da im konkreten Fall die Ursache des Mangels gerade nicht festgestellt wurde.
Praxishinweis
Aus Sicht des bauüberwachenden Architekten drängt sich oft das Gefühl auf, bereits das Vorliegen eines Baumangels führe in jedem Fall zur Vermutung einer mangelhaften Überwachungsleistung seitens des Architekten. Der Architekt hätte in so einem Fall stets darzulegen und im Zweifel zu beweisen, dass die geleistete Bauüberwachung mangelfrei erfolgt ist. Dass diese Annahme so pauschal nicht zutreffend ist und insbesondere nicht stets vom Vorliegen eines Anscheinsbeweises zu Gunsten des Auftraggebers ausgegangen werden kann, wird durch die vorliegende Entscheidung bestätigt.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht Nicolai Chalupsky, Hamburg