27.07.2021
„Mängel“rechte vor bzw. ohne Abnahme und die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten des Bestellers nach dem BGB-Bauvertrags sind Gegenstand des Beitrags von Professor Dr. Oliver Moufang. Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen dem Besteller eines BGB-Bauvertrages gegen den bauausführenden Unternehmer zur Verfügung stehen, wenn sich in der Herstellungsphase vor Abnahme nicht vertragsgemäße, weil „mangelhafte“ Leistungen zeigen, an deren unverzüglichen Beseitigung der Besteller ein sachliches Interesse hat? Der Weg über die Mängelrechte nach § 634 BGB ist versperrt. Stattdessen muss sich der Berater des Bestellers in das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB und damit auf nach wie vor ungewohntes Terrain begeben
I. Die Ausgangssituation
Der BGH hat in drei Grundsatzentscheidungen jeweils vom 19.01.2017 entschieden, dass der Besteller die Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks geltend machen kann. Die vom BGH entschiedenen Ausnahmefälle, in denen der Besteller zur Geltendmachung der Mängelrechte vor bzw. ohne Abnahme berechtigt ist, sind dadurch gekennzeichnet, dass (a) der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten und (b) der Besteller seinen Erfüllungsanspruch verloren hat. Letzteres ist dann der Fall, wenn der Besteller
- nur noch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes verlangt, § 281 Abs. 4 BGB ,
- nur noch Minderung des Werklohns erreichen will,
- vom Werkvertrag zurücktreten will oder
- das Vertragsverhältnis aus sonstigen Gründen in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist, zum Beispiel dadurch, dass der Besteller einen Kostenvorschuss für die Beseitigung des Mangels verlangt und zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer zusammenarbeiten zu wollen.
Diese BGH-Entscheidungen sind zum modernisierten Schuldrecht ergangen. Auch das neue Bauvertragsrecht enthält keine Regelung, wonach dem Besteller vor Abnahme Mängelrechte zustehen; im Gegenteil ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass dem Besteller solche Rechte nicht zustehen.
Ob ein Werk mangelfrei ist, beurteilt sich grundsätzlich erst im Zeitpunkt der Abnahme. Aus diesem Grund sollte der Begriff des „Mangels“ bzw. der „mangelhaften“ Leistung in der Herstellungsphase vor Abnahme nicht verwendet werden. Stattdessen sollte – wie in § 632a Abs. 1 Satz 2, 3 BGB – dogmatisch genauer von einer „nicht vertragsgemäßen“ Leistung die Rede sein.
II. Die Betonung der Dispositionsfreiheit des Unternehmers durch den BGH
Dieser Teil der Begründung der BGH-Entscheidungen ist für den weiteren Gang der Untersuchung von Bedeutung, weil die hier erwähnte Dispositionsfreiheit des Unternehmers auf die anderen Rechte, die dem Besteller in der Herstellungsphase anstelle der Mängelrechte nach § 634 BGB zustehen, ausstrahlt und – wie noch zu zeigen sein wird – auch dort zu erheblichen Einschränkungen führt. Bei diesen anderen Rechten handelt es sich um den Erfüllungsanspruch des Bestellers aus § 631 Abs. 1 BGB und die Rechte des Bestellers aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht, wie etwa Schadensersatz neben der Leistung, § 280 Abs. 1 BGB , Schadensersatz statt der Leistung, §§ 281 , 280 BGB , Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung, §§ 280 Abs. 2 , 286 BGB , Rücktritt nach § 323 BGB oder Kündigung aus wichtigem Grund nach § 648a BGB . Der BGH meint, dass die Interessen des Bestellers an einer vertragsgemäßen Herstellung durch diese Rechte angemessen gewahrt sind. Demgegenüber hat sich der Arbeitskreis I – Bauvertragsrecht des 3. Deutschen Baugerichtstages bereits im Mai 2010 dazu wie folgt geäußert:
„Er (der Besteller) hat daher ein ganz besonderes und schutzwürdiges Interesse daran, dass das Bauvorhaben von vornherein vertragsgemäß erstellt wird. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht der §§ 280 , 281 , 323 BGB bietet ihm dabei keine Hilfe. Es sieht nur sehr begrenzte Reaktionsmöglichkeiten – Rücktritt und Schadensersatz – vor, an denen der Besteller häufig gerade nicht interessiert ist.“
III. Das Leistungsverweigerungsrecht aus § 632a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB
Dass dem Besteller vor Abnahme keine Mängelrechte nach § 634 BGB zustehen, ändert nichts daran, dass er das ihm nach § 632a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB zustehende Leistungsverweigerungsrecht ausüben kann. Die Beweislast für die vertragsgemäße Leistung verbleibt bis zur Abnahme beim Unternehmer, was sich bereits aus § 363 BGB ergibt und in § 632a Abs. 1 Satz 3 BGB nur noch einmal klargestellt wird. Die Höhe des Leistungsverweigerungsrechts ergibt sich aus § 632a Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 BGB i.V.m. § 641 Abs. 3 BGB; ein angemessener Einbehalt entspricht in der Regel dem Doppelten der für die Beseitigung der nicht vertragsgemäßen Leistung erforderlichen voraussichtlichen Kosten. Im Streitfall muss der Unternehmer die Höhe dieser Kosten darlegen und beweisen.III. Das Leistungsverweigerungsrecht aus § 632a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB
Auch wenn damit für den Besteller durchaus eine komfortable Rechtsposition verbunden ist, hat er in der Regel doch ein weitergehendes Interesse, das eben darin besteht, die nicht vertragsgemäße Leistung noch in der Herstellungsphase beseitigen zu lassen und zwar idealerweise durch den bauausführenden Unternehmer selbst. Wie kann der Besteller das erreichen? Welche rechtlichen Möglichkeiten hat er, den Unternehmer zu einer Beseitigung der nicht vertragsgemäßen, weil „mangelhaften“, Leistung zu bewegen?
IV. Die maßgeblichen Zeitpunkte
Mindestens zwei Zeitpunkte haben in der Herstellungsphase entscheidende Auswirkung auf die Rechte des Bestellers: der Zeitpunkt vor Ablauf der Fertigstellungsfrist und der Zeitpunkt nach Ablauf der Fertigstellungsfrist.
Der Zeitpunkt der Fertigstellungsfrist entspricht dem Zeitpunkt der Fälligkeit des Herstellungsanspruchs aus § 631 Abs. 1 BGB. Die Fälligkeit des Herstellungsanspruchs wiederum ist grundsätzlich Voraussetzung für das Entstehen der Sekundärrechte aus § 281 Abs. 1 , § 323 Abs. 1 und §§ 286 , 280 Abs. 1 , 2 BGB. Der Zeitpunkt der Fertigstellungsfrist bestimmt sich entweder nach einem vertraglich vereinbarten Fertigstellungstermin oder dem Ablauf einer angemessenen Fertigstellungsfrist, die unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände zu ermitteln ist.
1. Rechte des Bestellers vor Ablauf der Fertigstellungsfrist
Vor Ablauf der Fertigstellungsfrist ist der Erfüllungsanspruch des Bestellers nicht fällig. Nach der gesetzlichen Systematik kann der Besteller dem Unternehmer vor Fälligkeit der Leistung keine wirksame Frist zur Leistung setzen. Dem Besteller fehlt hierfür nach Auffassung des BGH auch das schützenswerte Interesse. Denn die Nachfrist könnte ohnehin nicht vor Fälligkeit der Leistung beginnen und es kann dem Besteller im Regelfall zugemutet werden, die Fälligkeit der Leistung bis zur Fristsetzung abzuwarten. Zudem fehlt es der mit der Fristsetzung verbundenen Warnfunktion an einer ausreichenden Grundlage, die darin besteht, dass die Fälligkeit der Leistung eingetreten ist. Dem entspricht auf der anderen Seite die Dispositionsfreiheit des Unternehmers: Er hat sich zu einem bestimmten Werkerfolg verpflichtet, sodass es grundsätzlich ihm überlassen bleibt, wie er den Erfolg erreicht.Er ist eben nicht zur jederzeitigen Beseitigung der nicht vertragsgemäßen Leistung während der Herstellungsphase verpflichtet. Er ist grundsätzlich berechtigt, den Herstellungsprozess in zeitlicher Hinsicht eigenverantwortlich zu steuern.
Rechtanwalt Dr. Oliver Mufang
– Ende des Auszugs –
Der Aufsatz ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den der Autor im Rahmen der 56. Baurechtstagung am 6. November 2020 gehalten hat. .
Der vollständige Aufsatz „„Mängel“rechte vor bzw. ohne Abnahme – rechtliche Möglichkeiten des Bestellers nach dem BGB-Bauvertrag“von Rechtanwalt Dr. Oliver Mufang erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2021, 876 – 883, Heft 6). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.