Der Prüf- und Hinweispflicht des Unternehmers kommt in der Abwicklung von Bauverträgen eine zentrale Bedeutung zu. Sie betrifft das schwierige Verhältnis zwischen den Vorgaben des Bestellers, dessen Planung oder den Leistungen anderer Baubeteiligter und deren Auswirkungen auf die Pflicht des ausführenden Unternehmers, ein den vertraglichen Anforderungen entsprechendes Werk zu errichten. In dieser Schnittstelle liegt oft eine wichtige Weichenstellung für einen erfolgreichen Projektverlauf, mit der gerade auch der ausführende Unternehmer kraft seiner Fachkunde gefordert ist, den Auftraggeber vor Schaden zu bewahren. Nach den tiefgreifenden Ausführungen von Herrn Prof. Schröder zur dogmatischen Grundlage und der genauen Wirkweise der Prüf- und Hinweispflichten des Unternehmers1 sollen mit diesem Beitrag verschiedene Fragestellungen beleuchtet werden, die sich in der alltäglichen Baupraxis häufig im Zusammenhang mit den vom Auftragnehmer anzumeldenden Bedenken ergeben – angefangen mit der Form über den notwendigen Inhalt und richtigen Adressaten für einen beachtlichen Bedenkenhinweis bis hin zu der Frage, wie der Besteller auf einen entsprechenden Hinweis zu reagieren hat und welche Folgen sich hieraus jeweils für die weitere Abwicklung des Bauvorhabens durch den Auftragnehmer ergeben. Der Beitrag möchte Anstoß geben, die in der Praxis gelebte Übung teilweise kritisch zu hinterfragen und stellt Vorschläge zur Lösung noch ungeklärter Situationen wie z.B. bei einer fehlenden Reaktion des Auftraggebers auf den Bedenkenhinweis des Auftragnehmers zur Diskussion.
A. Die Form von Bedenkenhinweisen
Der Bedenkenhinweis des Unternehmers ist im BGB nicht geregelt, so dass insoweit auch kein gesetzliches Formerfordernis besteht. Demgegenüber sieht § 4 Abs. 3 VOB/B vor, dass der Auftragnehmer seine Bedenken schriftlich mitzuteilen hat.
I. Schriftform nach § 4 Abs. 3 VOB/B durch einfache E-Mail?
Dies führt zu der in der Praxis häufigen Frage, ob der in Form einer E-Mail erteilte Bedenkenhinweis ausreichend ist oder nicht.
1. Anforderungen an die gewillkürte Schriftform
§ 4 Abs. 3 VOB/B stellt entsprechend dem Charakter der VOB/B als vertragliches Regelungsmuster2 kein gesetzliches, sondern ein bei wirksamer Einbeziehung der VOB/B vertraglich vereinbartes Formerfordernis i.S. von § 127 BGB auf. Auch für die gewillkürte Schriftform gelten nach § 127 Abs. 1 BGB im Zweifel aber die Anforderungen des § 126 BGB , nach dessen Abs. 1 die betreffende Urkunde u.a. von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet werden muss. Für den Fall der durch Vereinbarung festgelegten Schriftform sieht die Auslegungsregel des § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB lediglich eine Erleichterung insoweit vor, dass die telekommunikative Übermittlung genügen soll, soweit kein anderer Wille anzunehmen ist.
Dabei kann sicherlich konstatiert werden, dass im Bauwesen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Verwendung telekommunikativer Übermittlungsformen für die Wahrung der vereinbarten Schriftform bestehen; solche sind auch nicht für § 4 Abs. 3 VOB/B erkennbar, da wie z.B. bei der Behinderungsanzeige nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VOB/B auch hier vielmehr gerade eine möglichst zeitnahe Information des Auftraggebers gewünscht ist. Mit dieser für § 4 Abs. 3 VOB/B sogar ausdrücklich formulierten Zielsetzung wäre die zwingende Verweisung des Auftragnehmers z.B. auf den Postweg nicht zu vereinbaren.
2. Keine Unterschrift
Allerdings ist die übliche E-Mail entgegen §§ 127 Abs. 1 , 126 Abs. 1 Satz 1 BGB regelmäßig nicht mit der eigenhändigen Unterschrift des Absenders versehen.
Die überwiegende Kommentarliteratur sieht hierin allerdings keine Schwierigkeiten und bejaht gleichwohl die Wahrung der vereinbarten Schriftform durch einfache E-Mail: Denn mit der Zulässigkeit telekommunikativer Übermittlung nach § 127 Abs. 2 BGB sei zugleich auch das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift aufgegeben worden.3 Dies wird aus dem früheren Wortlaut des § 127 Abs. 2 BGB a.F. hergeleitet, der bis zu seiner Neufassung im Jahr 2001 statt der telekommunikativen die telegraphische Übermittlung für ausreichend erachtet hat. Da bei einem Telegramm nach Art und Weise der Übermittlung eine eigenhändige Unterschrift des Versenders aber von vornherein ausgeschlossen war, sollte diese zur Wahrung der gewillkürten Schriftform nach § 127 Abs. 2 BGB im Regelfall offenbar nicht erforderlich sein. Diese Wertung wird gemeinhin auch für die heutige Fassung des § 127 Abs. 2 BGB übernommen. Entsprechend hat auch das BAG in seiner Entscheidung vom 16.12.2009 für die aktuelle Rechtslage bestätigt, dass bei der telekommunikativen Übermittlung nach § 127 Abs. 2 BGB auf das Erfordernis der Unterschrift verzichtet wird, so dass die einfache, nicht unterschriebene E-Mail einer tarifvertraglich vorgesehenen Schriftform genügt.4
Diese Auffassung deckt sich auch mit den Ausführungen des Gesetzgebers zur Begründung des „Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr“, mit dem § 127 Abs. 2 BGB seine heutige Fassung erhalten hat. Hierin erklärt der Gesetzgeber, dass bereits vor der Neufassung von § 127 Abs. 2 BGB allgemein anerkannt gewesen sei, dass schriftliche Erklärungen auch mittels Telefax oder Fernschreiben formgerecht abgegeben werden können und dass keine Veranlassung bestünde, andere und heutzutage gängigere Übermittlungsmethoden hiervon auszunehmen – wobei er explizit auch die E-Mail einbezogen wissen möchte.5
3. Kritische Würdigung
Wenn der Gesetzgeber dabei zum Beleg auf die Entscheidung des BGH vom 22.04.1996 zur Einhaltung der gewillkürten Schriftform durch Telefaxschreiben abstellt,6 ist aber nicht nur deren Fundstelle in der Gesetzesbegründung falsch angegeben; der Entscheidung ist auch kein zwingendes Argument dafür zu entnehmen, nicht unterschriebene E-Mails für die gewillkürte Schriftform nach § 127 Abs. 2 BGB genügen zu lassen.
- Vielmehr stellt der BGH in der Begründung seiner Entscheidung gerade maßgeblich darauf ab, dass das zu beurteilende Faxschreiben im Gegensatz zu sonstigen Fällen in der bis dato ergangenen Rechtsprechung im Original unterschrieben war.7 Dem kann entnommen werden, dass § 127 Abs. 2 BGB nach der Auffassung des BGH in der Regel nur eine Erleichterung im Hinblick auf die Übermittlung unterschriebener Erklärungen, nicht aber hinsichtlich der Unterschrift selbst enthält.
- Dieses Verständnis legt zunächst auch der Wortlaut von § 127 Abs. 2 BGB nahe, der die nach § 126 Abs. 1 BGB erforderliche Unterschrift überhaupt nicht erwähnt, sondern zunächst Erleichterungen allein für die Übermittlung vorsieht.
- Zudem gilt gegenüber der früheren Gesetzeslage zu beachten, dass mit dem „Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr“ vom 13.07.2001 nunmehr auch neue Formtypen geschaffen und gesetzlich verankert wurden, die nach § 127 Abs. 1 BGB naturgemäß allesamt auch vertraglich vereinbart werden können.
- Dies gilt auch für die Textform nach § 126b BGB8 , zu deren Einhaltung es einer lesbaren und zumindest über einen für ihren Zweck angemessenen Zeitraum speicherbaren Erklärung bedarf, in der die Person des Erklärenden lediglich genannt ist. Eine Unterschrift ist für die Textform damit nicht erforderlich. Deren typische Erscheinungsform ist damit gerade die einfache, nicht unterschriebene E-Mail.
- Wenn dann aber auch für die gewillkürte Schriftform komplett auf das Erfordernis einer Unterschrift verzichtet würde, wäre kein nennenswerter Unterschied zur (vereinbarten) Textform ersichtlich, obwohl diese zu Vereinfachungszwecken auch nach der Gesetzesbegründung eine Herabstufung der strengeren Schriftform mit sich bringen und damit hiervon abzugrenzen sein sollte.9 Zudem bringen die Parteien mit der Vereinbarung der Schriftform gerade zum Ausdruck, dass etwas anderes als die gesetzlich ebenfalls vorgesehene Textform gewollt ist.
- Dieselben systematischen Bedenken ergeben sich für das Verhältnis zur elektronischen Form nach § 126a BGB . Diese kann nach § 126 Abs. 3 BGB die gesetzliche Schriftform ersetzen, wobei an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift die Angabe des Namens und eine qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden nach dem Signaturgesetz tritt. Für die gewillkürte elektronische Form soll nach § 127 Abs. 3 BGB dann sogar eine einfache elektronische Signatur genügen – wie sie häufig am Ende einer normalen E-Mail zu finden ist. Wenn aber bereits für die gewillkürte Schriftform auf die Notwendigkeit einer Unterschrift verzichtet und damit auch die einfache E-Mail den Anforderungen des § 127 Abs. 2 BGB genügen würde, hätte auf die eigens eingeführte Regelung in Abs. 3 verzichtet werden können.
Ferner gilt im Hinblick auf die Argumentation der h.M. zu beachten, dass bei einer E-Mail
- anders als ehemals beim Telegramm die Übermittlung der Unterschrift auch keineswegs von vornherein ausgeschlossen ist. Vielmehr ist durchaus möglich, eine digitalisierte Unterschrift in eine E-Mail einzusetzen oder ein im Original eigenhändig unterschriebenes Dokument einzuscannen, das dann – vergleichbar einem Faxschreiben – quasi als elektronisch erstellte Kopie per E-Mail im Wege telekommunikativer Übermittlung versendet wird.
All dies spricht dafür, entgegen der h.M. und dem BAG das Unterschriftserfordernis für die gewillkürte Schriftform nicht gänzlich aufzugeben, sondern allein im Hinblick auf die von § 127 Abs. 2 BGB angesprochene Übermittlung der nach § 126 Abs. 1 BGB unterschriebenen Erklärung Erleichterungen zuzulassen.10 Für den Bedenkenhinweis ist danach zu differenzieren, ob dieser als E-Mail oder vielmehr nur in Form eines unterschriebenen und eingescannten Dokuments per E-Mail übermittelt wird. So hat auch das OLG Frankfurt mit Beschluss vom 30.04.2012 zumindest im Ergebnis zutreffend entschieden, dass eine einfache nicht unterschriebene E-Mail nicht dem ebenfalls gewillkürten Schriftformerfordernis nach § 13 Abs. 5 VOB/B entspricht – mit der Folge, dass die entsprechende Mängelrüge zu keiner Verlängerung der Gewährleistungsfrist geführt hat und dahingehende Ansprüche des Auftraggebers damit verjährt waren.11
– Ende des Auszugs –
Der vollständige Aufsatz „Der Bedenkenhinweis in der praktischen Abwicklung von Bauverträgen“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2015, 329 – 344 (Heft 2a)).