1. Ein Werkunternehmer ist nur soweit zur Vorleistung verpflichtet, wie es sich aus der Natur des jeweiligen Vertrags ergibt. Ist er mit der Herstellung eines übergabefähigen Werks beauftragt, so schuldet er dessen Übergabe im Zweifel nicht als Vorleistung, sondern nur Zug um Zug gegen Zahlung seiner Vergütung.*)
2. Ist ein Werkunternehmer mit der Bestandsaufnahme oder der Begutachtung eines Bauvorhabens beauftragt, hat er seine Dokumentation bzw. sein Gutachten nur Zug um Zug gegen seine Vergütung dem Besteller zu übergeben.*)
3. Ist der Unternehmer zu dieser Übergabe wegen eines Streits um seine Vergütung nicht bereit, kann sie der Besteller jedenfalls in begründeten Einzelfällen im Wege einer einstweiligen Verfügung erzwingen.*)
Problem/Sachverhalt
Der Bauherr (B) beauftragte 2019 einen Ingenieur (I) mit der Dokumentation des Bauzustands und eventueller Mängel hinsichtlich der Leistungen eines vom AG gekündigten Generalunternehmers. I erstellte darauf eine Fotodokumentation. Nachdem der gekündigte Generalunternehmer Klage gegen B auf Sicherheitsleistung für seine umstrittene Vergütung verlangte, forderte B von I die Übergabe der Fotodokumentation, um sich gegen diese Klage verteidigen zu können. I erklärte, die Unterlagen nur nach Ausgleich einer Rechnung über ca. 25.000 Euro zu übergeben, was B wegen der aus seiner Sicht überhöhten Vergütung ablehnte. B kündigte daraufhin den Vertrag mit I. Er verlangt von I die Herausgabe der Fotodokumentation im Wege der einstweiligen Verfügung.
Entscheidung
Mit Erfolg! Allerdings macht das KG die Vollziehung der einstweiligen Verfügung davon abhängig, dass B zuvor eine Sicherheit i.H.v. 30.000 Euro leistet. B stehe ein Verfügungsanspruch auf Herausgabe aus § 631 Abs. 1 BGB zu. Bei Prüfung des Verfügungsgrunds sei zunächst zu berücksichtigen, dass I nach Maßgabe der obigen Leitsätze nicht zur Vorleistung verpflichtet sei. Das bringe das Gesetz darin zum Ausdruck, dass die Vergütung nach § 641 Abs. 1 BGB „bei der Abnahme“ und nicht etwa „nach der Übergabe“ des Werks fällig sei. Im Interesse einer ausgewogenen Rechtsposition beider Parteien sei im Zweifel von der Gleichrangigkeit der gegenseitigen Verpflichtungen auszugehen. Nur aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls bejaht das KG im Ergebnis gleichwohl das Vorliegen eines Verfügungsgrunds. B habe glaubhaft dargelegt, die von I angefertigte Dokumentation zu benötigen. Dieses Interesse sei – auch unter Berücksichtigung der nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Abrechnung des I – bedeutsamer als dessen Interesse, die Herausgabe zu verweigern.
Praxishinweis
Das Zurückhalten von Bauunterlagen (Pläne, Leistungsverzeichnisse etc.) nach Vertragsbeendigung mit der Begründung, die Vergütung sei noch nicht vollständig bezahlt, ist in der Baupraxis – insbesondere zwischen Bauherr und Architekt – streitanfällig, weil diese Dokumente häufig zur Fertigstellung des Bauvorhabens benötigt werden. Die differenzierte Betrachtung durch das KG ist meines Erachtens durchaus zu begrüßen, zumal für sie nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Gesetzeshistorie von § 641 Abs. 1 BGB herangezogen werden kann. Demgegenüber wird allerdings in der übrigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass dem Architekten wegen seiner Vorleistungspflicht kein Leistungsverweigerungsrecht an Plänen etc. zusteht (OLG Hamm, IBR 2000, 180; OLG Köln, IBR 1998, 485; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 11, Rz. 230; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 16. Aufl., Rz. 3002 m.w.N.).
RA und FA für Bau- und Architektenrecht Prof. Dr. Oliver Moufang, Frankfurt a.M.