29.11.2021 – Das sogenannte freie Kündigungsrecht des Bestellers gem. § 648 BGB stellt eine Besonderheit des Werk- und Bauvertragsrechts dar. Ausgehend von der These, dass nur der – vom Gesetzgeber als „Besteller“ bezeichnete – Bauherr ein Interesse an der Ausführung des Werks hat, soll er sich „frei“ vom Vertrag lösen können. Der ausführende Bauunternehmer oder Architekt hat dagegen keinen Anspruch auf Vertragsdurchführung. Entsprechend ist in § 648 Satz 1 BGB geregelt, dass der Bauherr bis zur Vollendung des Werkes den Vertrag jederzeit kündigen kann.
Vermutungsregel des § 648 Satz 3 BGB
Bei vielen vor allem privaten Bauherren hält sich hartnäckig das Gerücht, dass im Falle einer solchen freien Kündigung dem Unternehmer nur ein Betrag in Höhe von 5 % der nicht erbrachten Leistungen zustehe. So verstanden werden die finanziellen Folgen, die sich aus einer freien Kündigung ergeben können, insbesondere von privaten Bauherren – aber auch in Unternehmerkreisen – häufig unterschätzt. Genährt wird dieses Gerücht offenbar von der Formulierung in § 648 Satz 3 BGB, wo es heißt:
„Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zusteht.“
Das Gesetzt verwendet allerdings den Begriff „frei“ im Zusammenhang mit diesem Kündigungsrecht des Bauherren nicht. Und das zu Recht. So „frei“ ist das Kündigungsrecht für den Bauherren nämlich gar nicht. Denn der Unternehmer erhält nicht etwa nur die Vergütung für die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen, sondern – als Ausgleich für die „freie“ Kündigung – auch den Teil der Vergütung, der auf den aufgrund der Kündigung nicht mehr zur Ausführung gelangten Teil entfällt.
Spitze Abrechnung möglich
Die Regelung in § 648 Satz 3 BGB soll dem Unternehmer lediglich eine pauschalierte Abrechnung – und damit eine Vereinfachung – ermöglichen. Es handelt sich um eine bloße Vermutung. Die Vermutung kann aber sowohl vom Unternehmer wie vom Bauherren widerlegt werden. Abgesehen von den Fällen eines unterkalkulierten Bauvorhabens rechnet sich im Regelfall für den Unternehmer, seine Kündigungsabrechnung „spitz abgerechnet “ und nicht pauschal mit 5 % der nicht erbrachten Leistungen aufzustellen.
Beweislastverteilung zu Ungunsten des Bauherren
Dabei kommen dem Unternehmer einige Beweiserleichterungen zu Gute. Denn nach der gesetzlichen Systematik ist es so, dass ihm im Fall der freien Kündigung grundsätzlich die volle Vergütung – also der komplette Vergütungsanspruch, der bei Durchführung des Vertrages entstehen würde, zusteht und er sich nur dasjenige anrechnen lassen muss, was er in Folge der Kündigung an Aufwendungen erspart oder anderweitig erwirbt.
Bei dem ersparten Aufwand kommt es zwar auf die tatsächlich ersparten Aufwendungen und nicht etwa auf kalkulatorische Ansätze an. Dem Unternehmer ist es aber nach der Rechtsprechung erlaubt, zur Darlegung der ersparten Aufwendungen auf seine Urkalkulation – und sogar auf eine nachträglich erstellte Kalkulation – Bezug zu nehmen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.08.2021 – 22 U 267/20). Für den Vergütungsanspruch nach freier Kündigung trifft den Unternehmer nur eine Erstdarlegungslast zu den ersparten Aufwendungen. Der Unternehmer muss diese nicht beweisen. Behauptet der Bauherr in Abweichung zum Zahlenwerk des Unternehmers, dass dieser tatsächlich höheren Beträge erspart habe, so trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast (so bereits BGH, Urteil vom 21.12.2000 – VII ZR 467/99; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.08.2021 – 22 U 267/20). Das bloße Bestreiten der Richtigkeit einer Kalkulation, insbesondere das Bestreiten mit Nichtwissen – obwohl er die Kalkulation im Regelfall gar nicht ohne sachverständige Hilfe kritisch angreifen kann -, ist für den beklagten Bauherren in einer solchen Situation nicht ausreichend. Der beklagte Bauherr kann auch nicht damit gehört werden, dass kalkulatorische Zuschläge überhöht kalkuliert seien, da dieser Vortrag von vorneherein unerheblich ist. Denn für den Vergütungsanspruch ist nur die Höhe der ersparten Aufwendungen maßgeblich.
Selbst wenn der Unternehmer vorvertraglich oder nach seiner Kalkulation davon ausgegangen ist, dass er das Bauwerk teilweise mit eigenen Kräften und teilweise mit Nachunternehmern errichtet, kann der Unternehmer vortragen, er habe das Bauwerk ausschließlich durch externe Lohnleister errichten lassen wollen, sodass maßgeblich für die ersparten Aufwendungen dann nur die tatsächlichen Kosten sind, die infolge der Kündigung erspart worden sind. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist der Unternehmer, der in einer Klage bestimmte Angaben zu seiner Kalkulation macht, noch nicht einmal daran gebunden. Ihm steht es frei, seinen Vortrag zu modifizieren. Nach Auffassung des Oberlandesgericht Düsseldorf genügt es sogar, wenn die ersparten Einzelkosten der Teilleistung („EkT“) durch den Unternehmer dargelegt werden. Der Bauherr kann sich dann nicht darauf beschränken, pauschal zu behaupten, dass diese nicht richtig dargestellt seien oder einzelne EKT fehlen würden. Er muss vielmehr – wenn er die Kalkulation erfolgreich bestreiten will – detailliert und konkret darlegen, welche EKT aus seiner Sicht zu niedrig bemessen sind und welche erforderlichen Leistungen nicht in den EKT kalkuliert sein soll. Solcher Vortrag kann nicht dadurch ersetzt werden, dass er von pauschalen Zuschlägen ausgeht. Schließlich geht das Oberlandesgericht Düsseldorf zu Gunsten des Unternehmers davon aus, dass in Anwendung von § 287 ZPO eine Schätzung zu Gunsten des Unternehmers möglich sei. Denn bei der Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen handelt es sich um eine Entschädigung des Unternehmers, die die Folge der – wie gezeigt: gar nicht so freien – Kündigung des Bestellers sei.
Fazit
Vor diesem Hintergrund muss sich ein Bauherr gut überlegen, ob er zum Mittel der „freien“ Kündigung greift. Die Mär, dass dann nur ein Betrag in Höhe von 5 % der Vergütung zu bezahlen sei, kann sich – wie gezeigt – als eine fatale Fehleinschätzung erweisen.
Rechtsanwalt Marco Röder, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht