Die mit dem Stellen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen verbundene Hoffnung, die eigenen Interessen zu wahren, kann sich als trügerisch erweisen. Die Verwendung unwirksamer AGB führt häufig zu überraschenden Ergebnissen. Für den Verwendungsgegner nachteilige Klauseln können sich je nach konkreter Fallgestaltung als für ihn günstig erweisen. Dann bleiben sie anwendbar; der Verwender wird „bestraft“. Der Beitrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Fallkonstellationen und Begründungsansätze in Rechtsprechung und Literatur und zeigt Zweifelsfälle auf.
I. Für den Verwendungsgegner günstige Klauseln
Eine Klausel, die den Verwendungsgegner begünstigt, kann nicht gem. § 307 BGB (= § 9 AGBG) unwirksam sein. Der VII. Zivilsenat hat das zunächst für den Fall entschieden, dass der Auftraggeber einer Werkleistung dem Auftragnehmer die VOB/B gestellt hatte. Der Auftraggeber ist an die Abkürzung der Verjährungsfrist durch die VOB/B, die zu seinen Ungunsten wirkt, gebunden.1 Zur Begründung hat der Senat auf den Wortlaut des § 9 AGBG (= § 307 BGB ) verwiesen, wonach allein die Benachteiligung des Verwendungsgegners zur Unwirksamkeit von Vertragsbestimmungen führen könne. Zudem hat er die Gesetzesbegründung2 zum AGBG angeführt: „(…) Bestimmungen in AGB (sind) unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben ‚unangemessen benachteiligen‘. (…). Gleichzeitig stellt die vom Ausschuß beschlossene Fassung des Absatzes 1 klar, daß nur die Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders zur Unwirksamkeit von Vertragsbestimmungen nach § 9 führen kann. Zum Schutze des Klauselverwenders vor den von ihm selbst in den Vertrag eingeführten AGB besteht im Rahmen dieses Gesetzes, das einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender schaffen soll, kein Anlaß.“
Ebenso muss sich ein Auftraggeber als Verwender der VOB/B eine fiktive Abnahme nach Beginn der Nutzung entgegen halten lassen und kann sich nicht darauf berufen, diese sei unwirksam.3 Der Auftragnehmer ist als VOB/B-Verwender mit Nachforderungen ausgeschlossen, wenn er die Schlusszahlung vorbehaltlos angenommen hat und die weiteren Voraussetzungen gem. § 16 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B gegeben sind.
II. Beidseitig gestellte Vertragsbedingungen
Keine Kontrolle findet nach den §§ 305 ff. BGB statt, wenn beide Parteien die gleichen Vertragsbedingungen stellen. Hierfür kann offenbleiben, ob in diesem Fall keine oder beide der Vertragsparteien Verwender sind. Auch wenn beide Parteien Verwender sein sollten, darf die Inhaltskontrolle nicht stattfinden. Die Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB zielen darauf ab, die Rechtsbeziehungen zwischen einem Verwender und einer anderen Vertragspartei, nicht aber zwischen zwei Verwendern zu regeln.4
III. Abstrakte vs. konkrete Kontrolle
Die Entscheidung vom 04.12.19865 darf nicht dahin missverstanden werden, dass es für die Inhaltskontrolle auf die konkrete Auswirkung einer Klausel in einem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis ankommt. Der Prüfungsmaßstab der Inhaltskontrolle ist abstrakt. Für die Bewertung, ob eine Klausel unangemessen i.S.d. § 307 BGB ist, ist es unerheblich, ob der Berechtigte von den Möglichkeiten, die ihm die Klausel bietet, nicht in vollem Umfang Gebrauch gemacht hat.6 Für die Inhaltskontrolle kommt es nicht darauf an, ob die Klausel im Einzelfall zu einer unangemessenen Benachteiligung führt; es ist vielmehr eine generalisierende Betrachtungsweise anzustellen, bei der die Auswirkungen auf das konkrete Vertragsverhältnis nicht maßgeblich sind.7 Die Inhaltskontrolle ist nicht eine auf den konkreten Fall bezogene Ausübungskontrolle. Eine Allgemeine Geschäftsbedingung ist nach ihrer Wirkung in allen in Betracht kommenden Fallgestaltungen zu messen.
Auf der abstrakten Prüfungsebene kann berücksichtigt werden, dass – je nach Fallgestaltung – eine Klausel zugleich günstig und ungünstig für den Verwendungsgegner ist. So ist zum Beispiel § 6 Abs. 6 VOB/B eine Haftungsbegrenzung, die für beide Parteien wirkt. Sie kann daher als angemessener Ausgleich angesehen werden, auch wenn sich die Klausel im konkreten Einzelfall möglicherweise nur zu Lasten des Verwendungsgegners auswirkt.8 Die Regelung wäre aber unwirksam, wenn sie nur die Haftung des Verwenders beschränkte und damit der potentielle Vorteil für den Verwendungsgegner entfiele.
IV. Klauselambivalenz I
Die abstrakte Inhaltskontrolle einer Klausel und die daraus abgeleitete Unwirksamkeit kann zu Friktionen führen. Eine Klausel, die bei abstrakter Betrachtung nachteilig ist, kann im konkreten Streitfall für den Verwendungsgegner vorteilhaft sein. Nach der Regelung in § 306 Abs. 2 BGB tritt an die Stelle einer unwirksamen Klausel das dispositive Recht. Das kann für den Verwendungsgegner nachteilig sein.
1. Klausel zur Abrechnung nach Kündigung
Ein Architekt beansprucht nach einer freien Kündigung gem. § 649 BGB a.F. (§ 648 BGB ) Honorar. Er rechnet auf Grundlage einer Klausel ab, nach der er 60 % der vertraglich vereinbarten Vergütung erhält und 40 % als ersparte Aufwendungen gelten. Diese Klausel akzeptiert der VII. Zivilsenat nicht. Sie lässt es nicht zu, dass der Besteller höhere ersparte Aufwendungen nachweist und ist daher gem. § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Der Architekt muss konkret zu seinen ersparten Aufwendungen und zu anderweitigem Erwerb vortragen. Zugleich darf er aber nicht mehr als 60 % der Vergütung beanspruchen, auch wenn sich nach der konkreten Abrechnung ein höherer Vergütungsanspruch ergibt. Der VII. Zivilsenat begründet das (knapp und zutreffend) wie folgt: „Allerdings kann die Klägerin als Verwenderin der Klausel selbst dann nicht mehr als 60 % ihres Honorars verlangen, wenn sich nach diesen Grundsätzen ein Honorar ergeben sollte, das 60 % der Forderung übersteigt, weil sie sich als Verwenderin nicht auf die Unwirksamkeit der Klausel berufen kann.“9
Diese Entscheidung ist anders gelagert als die Entscheidung vom 04.12.1986 (Verkürzung der Verjährung zu Lasten des AGB-Verwenders).10 Anders als in jener früheren Entscheidung ist die von dem Verwender gestellte Klausel nicht in jedem Fall ungünstig für ihn und günstig für den Verwendungsgegner. Sie kann für den Verwender ungünstig und für den Verwendungsgegner günstig sein. Es kann sich aber auch umgekehrt verhalten. Es kommt auf das Ergebnis der Abrechnung an. Diese Ambivalenz spielt für die Inhaltskontrolle keine Rolle, weil sie „abstrakt“ erfolgt, es also nicht auf die Auswirkungen der Klausel im Einzelfall ankommt. Damit greift an sich die Rechtsfolge gem. § 306 Abs. 2 BGB ein. Der Inhalt des Vertrages richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften. Das hätte zur Folge, dass der Architekt von der Unwirksamkeit der von ihm gestellten Klausel profitiert, wenn bei konkreter Abrechnung die ersparten Aufwendungen und anderweitiger Erwerb geringer als 40 % sind. Durch die Entscheidung des BGH wird der abstrakte durch einen konkreten Prüfungsmaßstab ergänzt. Die Klausel wird als wirksam behandelt, wenn das für den Verwendungsgegner günstiger ist. Das ist eine konkrete Prüfung anhand des Einzelfalls.11
2. § 242 BGB vs. personale Teilunwirksamkeit
Fraglich ist, an welches Tatbestandsmerkmal diese konkrete Prüfung angebunden wird. Der Verweis auf den Wortlaut des § 307 Abs. 1 BGB , wonach eine Bestimmung unwirksam ist, „wenn“ sie den Vertragspartner unangemessen benachteiligt, scheidet aus. Denn dieses „wenn“ ist schon durch die abstrakte Prüfung „belegt“. Es ist nicht möglich, das „wenn“ zugleich „abstrakt“ (Prüfung der Wirksamkeit einer Klausel anhand aller in Betracht kommenden Fälle) und „konkret“ (Auswirkung der Klausel auf den Einzelfall) zu verstehen.
Verbreitet wird auf § 242 BGB abgestellt (Verbot des Selbstwiderspruchs bzw. venire contra factum propium). Danach kommt es darauf an, ob der Verwendungsgegner auf die unwirksame Klausel vertraut hat und Dispositionen getroffen hat.12 In der Konsequenz bedeutet das: Nur ausnahmsweise verbietet das Verbot widersprüchlichen Verhaltens dem Verwender die Berufung auf die Klauselunwirksamkeit (§ 242 BGB ). Es handelt sich um eine begründungsbedürftige Ausnahme und nicht um die Regel.13
Dem ist nicht zu folgen. Dem Verwendungsgegner ist nicht die „Begründungslast“ für den Einwand des widersprüchlichen Verhaltens aufzuerlegen. Das AGBG (jetzt §§ 305 ff. BGB ) ist an die Stelle einer richterrechtlichen Inhaltskontrolle getreten und hat die auf § 242 BGB gestützte Inhaltskontrolle positiviert. Die auf § 242 BGB gestützte Inhaltskontrolle war in ihren Anfängen eine Ausübungskontrolle.14 Klauseln sind allein mit Blick auf die Auswirkungen im konkreten Streitfall kontrolliert worden. Auch wenn die Inhaltskontrolle abstrakt ausgestaltet ist, kann doch diese Wurzel der AGB-Kontrolle nicht außer Acht gelassen werden. Der durch die AGB-Kontrolle beabsichtigte Schutz darf nicht in sein Gegenteil verkehrt werden. Deshalb ist es richtig, bei § 306 Abs. 2 BGB von einer personalen Teilunwirksamkeit auszugehen.15 § 306 Abs. 2 BGB liegt die Annahme zugrunde, dass der AGB-Verwender mit einer Klausel zu seinen Gunsten vom dispositiven Recht abweicht. § 306 Abs. 2 BGB ordnet deshalb die Geltung des dispositiven Rechts an, um nachteilige Klauseln durch das vorteilhaftere dispositive Recht zu ersetzen. Wenn aber das dispositive Recht nicht vorteilhafter ist, dann „widerspräche die uneingeschränkte Anwendung des dispositiven Rechts dem Ziel der AGB-Kontrolle, den Verwender an der einseitigen Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit zu seinen Gunsten zu hindern (…).“16 Das ist in der Sache eine teleologische Reduktion des § 306 Abs. 2 BGB . Gerechtfertigt durch den Regelungszweck wird der zu weite Wortlaut eingeschränkt. Der Anwendung des einzelfallbezogenen Grundsatzes von Treu und Glauben bedarf es nicht. Entscheidend ist der Regelungszweck.17
Auch der XI. Zivilsenat schränkt § 306 Abs. 2 BGB unter Bezugnahme auf die personale Teilunwirksamkeit ein: „Ist eine ihrem Geltungsanspruch nach für beide Seiten maßgebliche Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dem Kunden gegenüber inhaltlich unbillig und damit unwirksam, folgt daraus keine Gesamt-, sondern eine personale Teilunwirksamkeit (…). Die Zielsetzung der §§ 307 ff. BGB , den Verwender an der einseitigen Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit zu seinen Gunsten zu hindern, steht der Anerkennung vorformulierter Bedingungen zu seinen Lasten nicht entgegen (…).“18
3. Subsidiaritätsklausel
Ein Anwendungsfall der personalen Teilunwirksamkeit sind Subsidiaritätsklauseln. Viele Verträge sehen Rangfolgeklauseln vor, wonach im Falle der Unwirksamkeit eine Klausel der nächsten Rangstufe Anwendung finden soll. Der Rückgriff auf die nachrangige Regelung setzt eine Klausel voraus, die § 306 Abs. 2 BGB abändert. Eine solche Klausel ist unwirksam, weil sonst der AGB-Verwender ermutigt würde, sich durch „Klauselkaskaden“ an der Grenze des Zulässigen zu bewegen und die Gestaltung zudem intransparent ist.19 Trotz dieser Unwirksamkeit kann eine nachrangige vertragliche Regelung Anwendung finden, wie eine Entscheidung des VII. Zivilsenats vom 20.07.2017 zeigt.20 Die Parteien streiten über eine Vergütungsanpassung wegen einer 10 % übersteigenden Mehrung des Vordersatzes bei einem Einheitspreisvertrag. In dem vom Auftraggeber gestellten Bauvertrag ist in Ziffer 3 der AVB geregelt: „Die dem Angebot des Auftragnehmers zugrunde liegenden Preise sind grundsätzlich Festpreise und bleiben für die gesamte Vertragsdauer verbindlich.“ Das benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen und ist daher unwirksam. Kann der Auftragnehmer daher Mehrvergütung gem. § 2 Abs. 3 VOB/B beanspruchen? Im Ausgangspunkt nein. Es gilt § 306 Abs. 2 BGB und das BGB sieht keinen Preisanpassungsanspruch vor. Das greift jedoch zu kurz. In den Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) wird in Ziffer 1 auf verschiedene Vertragsgrundlagen, u.a. die VOB/B verwiesen. Die AVB sollen Vorrang vor der VOB/B haben. Hierzu heißt es in der Klausel zu den Vertragsgrundlagen: „Bei Widersprüchen gilt für die Auslegung vorstehende Reihenfolge.“ Diese Rangfolgeklausel bietet zwei ernsthafte Auslegungsmöglichkeiten. Sie kann „inhaltlich“ verstanden werden. Dann liegt ein Widerspruch vor, weil die Festpreisklausel § 2 Abs. 3 VOB/B ausschließt. Die Rangfolgeklausel kann aber auch dahin verstanden werden, dass ein Widerspruch nur vorliegt, wenn eine wirksame vorrangige Regelung gegeben ist. Dann liegt kein Widerspruch vor, weil die Festpreisklausel unwirksam ist. Nach der Unklarheitenregelung (§ 305c Abs. 2 BGB ) ist zu Gunsten des Auftragnehmers die zweite Auslegung vorzuziehen. Die Rangfolgeklausel führt also dazu, dass § 2 Abs. 3 VOB/B anzuwenden ist. Die in der Rangfolgeklausel geregelte Abweichung von § 306 Abs. 2 BGB ist zwar nicht wirksam (s.o.). Darauf kommt es aber nicht an. Denn: „Die Inhaltskontrolle von Formularklauseln dient ausschließlich dem Schutz des Vertragspartners des Verwenders; der Verwender kann sich nicht auf die Unwirksamkeit einer von ihm gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingung berufen.“21
– Ende des Auszugs –
Der vollständige Aufsatz „Der Bumerangeffekt bei Einsatz von AGB“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2020, 519 – 528 (Heft 4).