21.08.2023 – BGH, Urteil vom 22.06.2023 – VII ZR 881/21 BGB § 204 Abs. 1, 2; ZPO §§ 485 ff.
1. Ein selbständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der beantragten Beweissicherung anderweitig beendet i.S.v. § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, IBR 2011, 58).*)
2. Entscheidend für die Beurteilung der sachlichen Erledigung ist dabei grundsätzlich das Ende der gesamten Beweisaufnahme. Das gilt unabhängig davon, ob in einem selbständigen Beweisverfahren die Sicherung des Beweises hinsichtlich nur eines Mangels oder mehrerer – auch voneinander unabhängiger – Mängel stattfindet und auch ohne Rücksicht darauf, ob diese durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt (Aufgabe von BGH, IBR 1993, 142).*)
Problem/Sachverhalt
Der Auftraggeber (AG) macht gegen den Auftragnehmer (AN) Ansprüche wegen zwei Mängeln einer Betonfertigteilfassade geltend: Wegen Rissen der Betonelemente und wegen Durchbiegungen der Fensterlamellen. Kurz vor Ablauf der Gewährleistungsfrist leitete er ein selbständiges Beweisverfahren (sBV) ein. Innerhalb der Stellungnahmefrist zum ersten Ergänzungsgutachten des Sachverständigen, die bis zum 19.04.2013 lief, äußerten sich die Parteien nicht mehr zu den Rissen. Hinsichtlich der Lamellen wurde das sBV fortgesetzt und endete am 23.03.2015. Mit der am 26.06.2015 eingereichten Klage hat der AG wegen der Risse u. a. einen Kostenvorschuss i.H.v. 67.200 Euro sowie wegen der Mängel der Lamellen einen Kostenvorschuss i.H.v. 762.000 Euro verlangt. Das OLG Stuttgart (IBR 2022, 165) wies im Berufungsverfahren die Klage hinsichtlich der Lamellen als derzeit unbegründet ab und gab der Klage hinsichtlich der Risse statt. Die Verjährung sei durch das sBV auch hinsichtlich der Risse bis zu dessen Abschluss am 23.03.2015 gehemmt gewesen. Dagegen wendet sich der AN. Er beruft sich auf ein Urteil des BGH vom 03.12.1992 (IBR 1993, 142), wonach die Hemmung der Verjährung durch ein sBV über mehrere Mängel hinsichtlich des jeweiligen Mangels mit der Beweiserhebung über diesen Mangel endet.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Der BGH ändert seine Rechtsprechung und weist die Revision zurück. Nach § 204 Abs. 2 BGB endet die Hemmung der Verjährung durch gerichtliches Verfahren sechs Monate nach der Beendigung des Verfahrens. Das sBV ist grundsätzlich mit der sachlichen Erledigung der Beweiserhebung beendet. Dabei bezieht sich die sachliche Erledigung auch bei mehreren Mängeln auf das Ende der gesamten Beweisaufnahme. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 204 Abs. 2 BGB, der auf die Beendigung des eingeleiteten Verfahrens Bezug nimmt. So ist z. B. die Fristsetzung nach § 494a BGB erst nach Erledigung der gesamten Beweisaufnahme möglich. Das entspricht auch der Prozessökonomie. Es wäre für die Parteien unnötig umständlich und zeitaufwändig, müsste der Besteller Ansprüche wegen einzelner Mängel, deren Begutachtung abgeschlossen ist, gesondert geltend machen. Eine gütliche Einigung wird eher zu Stande kommen, wenn über alle behaupteten Mängel Klarheit besteht und der Streit umfassend beendet werden kann. Die rechtliche Selbstständigkeit der Mängel und der aus ihnen resultierenden Ansprüche führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Hemmung der Verjährung durch gerichtliche Geltendmachung knüpft nicht an den einzelnen Anspruch an, sondern an das eingeleitete Verfahren.
Praxishinweis
Der BGH stellt mit Recht den formalen Gesichtspunkt der Einheitlichkeit des Beweisverfahrens in den Vordergrund. Gerade die Hemmung der Verjährung muss an klare und leicht festzustellende Umstände anknüpfen. Ebenfalls zu Recht betont der BGH auch den Gesichtspunkt der Prozessökonomie. An der Geltendmachung mehrerer Mängel desselben Bauvorhabens in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten kann niemand ein Interesse haben.
VorsRiOLG Thomas Manteufel, Köln