Das Baurecht ist berühmt-berüchtigt für seine Gürteltiere und die Baubranche insgesamt gefürchtet für ihre Aktenberge. Denn Bauen war schon immer komplex und wird mit den steigenden Anforderungen an Technik, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit immer komplexer. Diese Flut an Informationen ist nur schwer zu bewältigen. Trotzdem gehört der Bausektor zu den am wenigsten digitalisierten Branchen überhaupt.
Doch es gibt wagemutige Pioniere, die sich der Mammutaufgabe Digitalisierung stellen und beherzt voranschreiten. Einer dieser Vorreiter ist specter automation. Wir sprachen mit Oliver Eischet, Mitgründer des Kölner Startups, wie er die längst überfällige Digitalisierung in der Baubranche voranzutreiben gedenkt und welche Rolle das Baurecht dabei spielen wird.
Großprojekte in Deutschland werden nicht selten mit 2D-Bauplänen und Zettelwirtschaft organisiert. Verschläft die deutschen Bauwirtschaft gerade den Megatrend Digitalisierung?
Oliver Eischet: (lacht) Im Vergleich zur Gesamtindustrie, insbesondere zur Automobilbranche, hinkt die Bauwirtschaft deutlich hinterher. Hier fehlt es an Investitionen in die Digitalisierung, aber auch an Software-Ideen, die den gesamten Bauprozess betrachten. Jedoch müssen wir berücksichtigten, dass die Baubranche sehr komplex ist. Dies führt zu Störfaktoren, die die Digitalisierung verlangsamen.
Welche Störfaktoren meinen Sie?
Im Bausektor arbeiten wir in einem sehr physischen Umfeld, wo die verschiedenen Akteur:innen etwas Greifbares brauchen. Auf der Baustelle möchte sich der Bauleiter spontan Notizen machen oder mal eben schnell eine Skizze zeichnen können, ohne sich in ein kompliziertes Programm einarbeiten zu müssen.
Die Softwareindustrie muss gemeinsam mit den Bauunternehmen reale Probleme aus der Praxis bearbeiten, Prozesse hinterfragen und dann Lösungen anbieten – und nicht umgekehrt
Wie kann die Baubranche den Rückstand bei der Digitalisierung ihrer Prozesse möglichst zügig aufholen?
Es ist wichtig, sich die Meinungen von Bauexpert:innen direkt aus der Branche einzuholen. Wir sind ursprünglich mit dem Ansatz gestartet, Turmdrehkräne zu automatisieren und fernzusteuern, haben aber nicht das erhoffte Feedback bekommen. Der Fehler war, dass wir die Idee aus der Automobilindustrie übernommen haben und sie blind auf die Baustelle übertragen wollten.
Der richtige Ansatz ist aber Co-Creation. Die Softwareindustrie muss gemeinsam mit den Bauunternehmen reale Probleme aus der Praxis bearbeiten, Prozesse hinterfragen und dann Lösungen anbieten – und nicht umgekehrt.
Welche Lösung bietet specter automation an?
Während meines Praktikums als Bauleiter habe ich festgestellt, dass zwischen der Planung und der Ausführung von Bauprojekten oft Informationslücken entstehen. Deshalb haben wir eine symbolische Brücke in Form eines 3D-Modells geschaffen. Per Klick auf ein Bauteil haben die Anwender:innen direkten Zugriff auf alle relevanten Daten, aber auch auf die Fortschrittserfassung und Zeitpläne.
Die Idee lehnt sich an die Methode Building Information Modeling (BIM) an, die alle relevanten Gebäudedaten bestmöglich digital erfasst, kombiniert und vernetzt. Allerdings beschränkt sich BIM in der Regel auf die Planungsphase, während wir einen Schritt weiter gehen und die Modelle zur Nutzung auf der Baustelle bereitstellen.
Wie ist die Resonanz aus der Baubranche?
Die jungen Bauleiter können wir immer schnell überzeugen (lacht). Wenn ich jedoch 30 Jahre lang eine Baustelle mit Schmierzettel gesteuert habe, fällt es mir natürlich schwerer, mich auf einmal an eine digitale Anwendung zu gewöhnen.
Doch wenn Bauleiter erst einmal die Vorteile des digitalen Arbeitens verstanden haben, nämlich einen besseren Überblick über den Baufortschritt zu haben, nicht jedes Mal zur Baustelle fahren zu müssen und dadurch Zeit zu sparen, dann ist die Akzeptanz auch bei den Kritikern da.
Zukünftig wird auch die Meinung von Baurechtler:innen eine wichtige Rolle spielen, um unsere Lösung weiterzuentwickeln.
Haben Sie bei der Entwicklung Ihrer Lösung auch mit (Baurechts-)Anwälten gesprochen?
Bisher waren wir nur in Bauprojekte involviert, deren Vertragsverhandlungen und Vergabeprozesse schon längst abgeschlossen waren. Dementsprechend hatten wir bis dato kaum Berührungspunkte zum Baurecht. Jedoch holen wir uns regelmäßig Feedback ein, wie wir die Software weiterentwickeln und weitere Bereiche abdecken können.
In welchen Bereichen Ihrer Anwendung spielen rechtliche Aspekte eine Rolle?
Dies könnte beispielsweise das Mängel- und Nachtragsmanagement umfassen. Wir haben uns dazu entschieden, nicht das 40. Mängelmanagement-Tool zu sein. Jedoch entwickeln wir aktuell Schnittstellen zu anderen Softwares.
Unser Plan ist es, dass Mängel nicht unbedingt über uns erstellt werden, aber über eine bereits existierende Software in unser 3D Modell integriert werden. Zukünftig wird dementsprechend auch die Meinung von Baurechtler:innen eine wichtige Rolle spielen, um unsere Lösung weiterzuentwickeln
Welche Herausforderungen sehen Sie in der Einführung von datengetriebenen Lösungen in der Baubranche?
Datenschutz ist natürlich immer ein entscheidender Punkt. Unser Vorteil ist, dass wir keine personenbezogenen Daten erheben. Aber auch projektbezogene Daten sind sehr sensibel. Hier muss man besonders vorsichtig mit Informationen über die Baukosten umgehen.
Daher haben wir schon früh einen Schwerpunkt auf die Nutzerverwaltung gelegt. Nutzt ein Bauherr unsere Anwendung, obliegt es noch immer dem Generalunternehmer, ob der Bauherr die Kosten einsehen kann oder nicht. Das heißt, wir versuchen Transparenz zu schaffen, ohne aber sensible Daten wie Kosten oder Aufwandswerte zu teilen.
Die Baubranche ist im Wandel. Welche Trends sehen Sie?
Zwei aktuelle Trends sind das modulare Bauen und das Thema Vorfertigung. Durch die Herstellung von Modulen oder Fertigteilen in Hallen, eliminiert die Bauindustrie externe Störfaktoren, die wir draußen bei Wind und Wetter haben. Zudem kommt immer häufiger der Aufruf nach seriellen Bauen auf. Auch aus unserer Sicht schließen wir uns dieser Aufforderung an. Je ähnlicher die Projekte und je unabhängiger sie von externen Störfaktoren sind, desto besser können wir projektübergreifende Analysen durchführen und Prozesse optimieren.
Wo hakt die Prozessoptimierung von Bauprojekten in Deutschland?
Die Prozesseffizienz betreffend hat die Bauwirtschaft im Vergleich zu anderen Branchen großen Nachholbedarf. Das Stichwort lautet Integrierte Projektabwicklung (IPA) – eine Planungsmethode, bei der alle Projektbeteiligten enger zusammenrücken. Allerdings müssen hierfür erst komplizierte Verträge geschlossen werden, damit die IPA umgesetzt werden kann.
Wichtig ist aus meiner Sicht vor allem Folgendes: Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen – seien es Architekten, Bauleiter, Softwareentwickler oder Baurechtler – müssen sich an einen Tisch setzen und ihr Fachwissen teilen.
Herr Eischet, wir danken für das Gespräch!