Bauen im Bestand: Sind 21 Prozent Kostenabweichung ein Kündigungsgrund?

1. Der Auftraggeber kann einen Architektenvertrag aus wichtigem Grund kündigen. Wichtige Kündigungsgründe, die der Architekt zu vertreten hat, sind u. a. die wesentliche Abweichung von vertraglichen Vorgaben, eine schleppende, zögerliche und unzureichende Leistungserbringung trotz Fristsetzung, die Verursachung besonders grober Mängel, die Verletzung von Kooperationspflichten, aber auch die schuldhafte, erhebliche Überschreitung von Vertragsfristen und von Baukosten.

2. Beim Bauen im Bestand steht dem Architekten bei der Kostenberechnung ein Toleranzrahmen zwischen 20% und 25% zur Verfügung.

3. Wird um eine Vertragsauflösung gerungen oder soll der Vertrag ordentlich gekündigt und ein anderer Planer mit der Fortsetzung des Projekts beauftragt werden, und wird auf Einzelprobleme der Ausführungsplanung seitens des Auftraggebers nicht mehr mit der gebotenen Sorgfalt und Vertragstreue eingegangen, kann der Auftraggeber nicht auf die Wahrung von Vertragsfristen durch den Architekten bestehen.

OLG Naumburg, Urteil vom 28.02.2018 – 3 U 36/17; BGH, Beschluss vom 09.10.2019 – VII ZR 167/16 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB § 286 Abs. 4, §§ 314631649 Satz 2; HOAI 2009 §§ 3435

Problem/Sachverhalt

Der Architekt (A) verpflichtet sich gegenüber der Verwaltungsgemeinde (V) zu Leistungen der Leistungsphasen 1 bis 9 für Umbau und Erweiterung einer Grundschule. Im Zuge der Erarbeitung der Ausführungsplanung kündigt V den Vertrag außerordentlich und führt mehrere wichtige Kündigungsgründe an. Insbesondere sei die Kostenberechnung des A mit rd. 1,5 Mio. Euro wesentlich von den in der Kostenfeststellung ausgewiesenen tatsächlichen Kosten von rd. 1,9 Mio. Euro abgewichen. A ist der Auffassung, die Mehrkosten seien auf nach der Kündigung eingetretene kostenrelevante Planungsbeiträge des (mehrfach ausgetauschten) Tragwerksplaners zurückzuführen. Ein wichtiger Grund habe daher nicht vorgelegen, weshalb die Kündigung als freie Kündigung zu werten sei. Er macht rund 350.000 Euro Honorar geltend.

Entscheidung

Mit Erfolg! Ein wichtiger Kündigungsgrund liege nicht vor. Eine wesentliche und damit erhebliche Kostenabweichung bei der Kostenberechnung, die im Übrigen im abgeschlossenen Baugenehmigungsverfahren und im Nachtragsverfahren von V verwendet worden sei, sei beim Bauen im Bestand nicht anzunehmen. Bei derartigen Vorhaben sei der Toleranzbereich mit der festgestellten Abweichung von 21% noch nicht erreicht bzw. überschritten. Dieser sei regelmäßig zwischen 20% und 25% anzunehmen.

Praxishinweis

Es ist ein kaum zu entzaubernder Mythos, dass fixe Toleranzwerte bei der Prüfung, ob eine Kostenberechnung im Vergleich zur Kostenfeststellung mangelhaft ist, herangezogen werden können. Eine rechtliche Begründung für diese – zugegeben für die richterliche Praxis auf den ersten Blick arbeitserleichternde – Auffassung ist nicht erkennbar. Auch nicht beim Bauen im Bestand. Auch nicht, wenn Kommentare und andere Oberlandesgerichte dies bis heute immer wieder behaupten und sich gegenseitig zitieren. Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, müsste die Kostenfeststellung ohnehin zunächst um Einflüsse bereinigt werden, die der Architekt nicht zu vertreten hat (Baupreissteigerungen, Änderungen des Bauherrn etc.). Tatsächlich ist die Entwurfsplanung der einzige und richtige Maßstab für die Mangelfreiheit der Kostenberechnung. Diese muss bei der Mengenberechnung (vgl. § 2 Abs. 11 HOAI) und der Zuordnung der richtigen Standards (Qualitäten) exakt sein. Die Bewertung hingegen, was Menge X des Standards Y derzeit (DIN 276 Ziff. 4.2.4) kostet, ist kaum einer festen Toleranz zugänglich.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Prof. Dr. Heiko Fuchs, Mönchengladbach