OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2024 – 20 U 36/23 UrhG § 2 Abs 1 Nr 4, §§ 14, 39
1. Auch ein öffentlicher Platz kann als Werk der Baukunst angesehen werden, soweit er die im Urheberrecht vorausgesetzte Individualität aufweist. Die für eine persönliche geistige Schöpfung notwendige Individualität erfordert, dass sich das Bauwerk nicht nur als Ergebnis rein handwerklichen oder routinemäßigen Schaffens darstellt, sondern dass es aus der Masse alltäglichen Bauschaffens herausragt.
2. Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.
3. Liegt eine relevante Beeinträchtigung der Werksintegrität vor, ist die indizierte Gefährdung der geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers mit den kollidierenden Eigentümerinteressen im Wege der Abwägung der jeweils betroffenen Interessen in Ausgleich zu bringen.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.2024 – 20 U 36/23
UrhG § 2 Abs 1 Nr 4, §§ 14, 39
Problem/Sachverhalt
Kläger K betreibt ein Architekturbüro. Er entwarf im Auftrag einer Stadt ein Konzept zur Umgestaltung eines öffentlichen Platzes. Das Konzept überschrieben die Planer mit dem Begriff „Grüne Insel“, wobei die Ausführung auch gestalterische Elemente wie „leuchtende Stadtmöbel“ bzw. „Stadtsofas“, Leuchtpflaster oder einen beleuchteten grünen Pylon aufwies.
Später errichtete der beklagte Gastronom G -mit Betrieb auf dem Platz – mit Genehmigung der Stadt einen Zaun aus Stahlträgern um sein Lokal. Dieser Zaun wurde mit Schrauben an den „Stadtsofas“ befestigt. Die von K auf Unterlassung der Errichtung des Zauns gerichtete und auf eine Verletzung des Urheberrechts gestützte Klage blieb erfolglos.
Entscheidung
K steht ein Anspruch aus § 97 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 UrhG nicht zu. Gem. § 39 UrhG darf der Inhaber eines Nutzungsrechts das Werk nicht ändern, soweit nichts anderes vereinbart ist oder der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann. Der hier vorliegende Eingriff – vgl. Leitsätze 1 und 2 – ist aber durch entgegenstehende Belange der Stadt als Eigentümerin des Platzes gerechtfertigt.
Liegt eine relevante Beeinträchtigung der Werksintegrität vor, ist die indizierte Gefährdung der geistigen oder persönlichen Interessen des Urhebers mit den kollidierenden Eigentümerinteressen im Wege der Abwägung der jeweils betroffenen Interessen in Ausgleich zu bringen (BGH, IBR 2019, 324 – HHole (for Mannheim)).
Die Interessenabwägung fällt zugunsten der Stadt und damit des G aus, der sich auf die Rechtsstellung der Stadt berufen kann. Bei dem Werk des K handelt es sich nicht um „reine Kunst“, vielmehr dient der Platz einem bestimmten Zweck: der Öffentlichkeit einen Platz mit hoher Aufenthaltsqualität zur Verfügung zu stellen.
Unstreitig ist der Platz ein „Drogenhotspot“, auf dem in aller Öffentlichkeit Drogen gehandelt und konsumiert werden. Es ist nachvollziehbar, dass dies vor allem abends zu erheblichen Belästigungen der sonstigen Personen und generell zu einem Verlust des Sicherheitsgefühls führt. Das OLG hält es für legitim, wenn die Stadt darauf reagiert. Das Interesse der Stadt und entsprechend des G geht dem Urheberrecht des K vor.
Praxishinweis
Ob eine Entstellung oder eine Beeinträchtigung vorliegt, kann in der Regel ohne den Rat von Fachleuten beurteilt werden, weil es auf den ästhetischen Eindruck ankommt, den das Werk nach dem Durchschnittsurteil des für Kunst empfänglichen und mit Kunstdingen einigermaßen vertrauten Menschen vermittelt (BGH, GRUR 1982, 107 – Kircheninnenraumgestaltung).
Die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung sind in der Regel gegenüber dem Urheberrecht des Planers vorrangig (BGH, GRUR 2019, 619 – Minigolfanlage Rn. 25)
VorsRiOLG Dr. Markus Wessel, Celle