29.04.2024 – Für die Leistungen der Objektüberwachung der Architekten werden im Regelfall Pauschalhonorare vereinbart. Verlängert sich die geplante Bauzeit, stellt sich die Frage nach der Abgeltung des damit verbundenen Mehraufwands des Überwachenden.
Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) hilft insoweit nicht weiter. Überraschend häufig greifen Rechtsprechung und Literatur sogleich auf die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage zurück, ohne die Ursache der Verlängerung und damit anderweitige vertragliche und gesetzliche Anspruchsgrundlagen in den Blick zu nehmen. Doch ist ein Rechtsinstitut, das zunächst für die „Erschütterung der Sozialexistenz“ durch Kriege, Hyperinflation, Seuchen und Naturkatastrophen entwickelt wurde, tatsächlich geeignet, eine Anpassung des geschlossenen Architektenvertrags wegen einer – in der Praxis eher den Regelfall als die Ausnahme darstellenden – Verlängerung der Bauzeit abzubilden? Der nachfolgende Beitrag sieht dies kritisch.
A. Vertragstypische Pflichten der Parteien bezüglich der Objektüberwachung
Verträge über Leistungen der Architekten und Ingenieure sind seit der Einführung des Bauvertragsrechts in das Bürgerliche Gesetzbuch im Jahr 2018 schuldrechtlich als selbständiger Vertragstyp in §§ 650p ff. BGB geregelt. Bis Ende des Jahres 2020 galt für diese Verträge das aus Mindest- und Höchstsätzen gebildete zwingende Preisrecht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013), das aufgrund eines Vertragsverletzungsurteils des EuGH durch seine Neufassung (HOAI 2021) für ab dem Jahr 2021 geschlossene Verträge nur noch eine nicht verbindliche Preisorientierung darstellt. Gleichwohl greifen die Parteien eines Architektenvertrags bis heute regelmäßig zur Konkretisierung der vom Architekten geschuldeten Leistung sowie der vom Besteller geschuldeten Gegenleistung, des Honorars, auf die HOAI zurück. Auf der Leistungsseite erfolgt dies durch vertraglichen Verweis auf die Grundleistungen der Anlagen zur HOAI, bei Architektenleistungen der Objektplanung Gebäude und Innenräume auf Anlage 10.1. Auf der Honorarseite wird häufig ein sog. Berechnungshonorar nach den Honorargrundlagen der HOAI vereinbart, aufgrund der vorbeschriebenen Deregulierung durch die HOAI 2021 häufig mit einem frei verhandelten Zu- oder Abschlag vom Basishonorarsatz der HOAI. Grundlagen dieses Honorars sind gem. § 6 Abs. 1 HOAI das vereinbarte Leistungsbild mit seinen in Leistungsphasen zusammengefassten Grundleistungen, die Honorarzone, die gem. § 5 HOAI den Schwierigkeitsgrad der Planungsaufgabe abbildet, der jeweiligen Honorartafel des Leistungsbilds sowie bei der Objektplanung Gebäude und Innenräume die anrechenbaren Kosten auf der Grundlage der Kostenberechnung. Diese Vergütungsart ist rein leistungsbezogen.
Im Gegensatz zu einem Aufwandsvertrag ist für einen solchen Leistungsvertrag kennzeichnend, dass die geschuldete Leistung als solche (z.B. ausführungsreife mangelfreie Planung) vergütet wird, und zwar gerade unabhängig von dem hierfür tatsächlich erforderlichen Aufwand. Dieses Honorarmodell ist wegen seiner Erfolgsbezogenheit also grundsätzlich für den Werkvertrag besonders geeignet. Unmittelbar zeit- und damit aufwandsabhängige Parameter zur Honorarermittlung weist die HOAI daher nicht (mehr) auf. Vielmehr liegt ihr die Annahme zugrunde, dass der erforderliche Leistungszeitraum über die Größe des Gebäudes sowie seine Komplexität und damit über anrechenbare Kosten sowie die Honorarzone abgebildet wird. Das Pauschalsystem der HOAI trägt nur als „Mischkalkulation“, bei der also eine Quersubventionierung der weniger lukrativen durch gewinnträchtige Aufträge erfolgen soll.
Wird der Architekt mit der Objektüberwachung nach den Grundleistungen der Leistungsphase 8 gemäß Anlage 10.1 zur HOAI beauftragt, liegt der Schwerpunkt seiner Leistungspflicht auf dem „Überwachen der Ausführung des Objektes auf Übereinstimmung mit der öffentlich-rechtlichen Genehmigung oder Zustimmung, den Verträgen mit ausführenden Unternehmen, den Ausführungsunterlagen, den einschlägigen Vorschriften sowie mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik“, der Grundleistung a) dieser Leistungsphase. Der vom Architekten bei dieser Grundleistung zu erbringende Aufwand ist bauzeitabhängig, da er so lange leisten muss, wie Bauleistungen erbracht werden. Dies gilt für weitere Grundleistungen dieser Leistungsphase entsprechend. Andere Grundleistungen werden – unabhängig von der Länge der Bauzeit – im Regelfall nur punktuell erbracht, wie etwa die Grundleistung g) „Rechnungsprüfung einschließlich Prüfen der Aufmaße der bauausführenden Unternehmen“ und ähnliche Grundleistungen. Im Einzelfall kann sich aber auch hier ein Mehraufwand des überwachenden Architekten infolge einer Bauzeitverlängerung ergeben, bspw. weil die ausführenden Unternehmer mehr Abschlagsrechnungen stellen als sie es in der geplanten Bauzeit getan hätten. Da die HOAI auf der Grundlage der gegebenen anrechenbaren Kosten und der Honorarzone von einer Regel- oder Durchschnittsbauzeit für derartige Gebäude ausgeht, ändert sich das nach ihren Grundlagen ermittelte Honorar nicht ohne Weiteres, wenn sich die Bauzeit entgegen den Erwartungen der Parteien verlängert.
Nicht erst seit der HOAI 2021 sind die Parteien indes frei, auch andere Honorarermittlungssysteme zu vereinbaren. Wird der Architekt nach Aufwand vergütet, also nach Stunden- oder Tagessätzen, stellen sich die in diesem Beitrag angesprochenen Fragen nicht oder nur sehr eingeschränkt. Haben die Parteien demgegenüber ein Pauschalhonorar vereinbart, bleibt dieses bei einer nach Vertragsschluss erkennbar werdenden Verlängerung der Bauzeit ebenso wie das HOAI-Honorar im Ausgangspunkt unverändert, so dass die nachfolgenden Ausführungen für diesen Vergütungstyp entsprechend gelten. Zugrunde gelegt werden soll aber eine Vereinbarung der Grundleistungen der Leistungsphase 8 gemäß Anlage 10.1 zur HOAI und eines damit korrespondierenden Berechnungshonorars nach § 6 Abs. 1 HOAI.
B. Rechtsprechung zur Vertragsanpassung nach § 313 BGB bei verlängerter Bauzeit
Anlass für eine Reihe von obergerichtlichen Urteilen zur Vertragsanpassung nach den in § 313 BGB geregelten Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage war ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2004.
I. Ausgangsentscheidung des BGH
Mit Urteil vom 30.09.2004 der BGH erstmals mit der Störung der Geschäftsgrundlage im Zusammenhang mit einer verlängerten Objektüberwachungsleistung befasst. Vereinbart war im entschiedenen Fall ein Berechnungshonorar nach der HOAI 1996 für die Erbringung der Grundleistungen der Objektüberwachung (Leistungsphase 8 nach § 15 Abs. 2 HOAI 1996). Der Vertrag enthielt die folgende Klausel:
„Dauert die Bauausführung länger als 15 Monate, so sind die Parteien verpflichtet, über eine angemessene Erhöhung des Honorars für die Bauüberwachung (§ 15 II HOAI, Leistungsphase 8) zu verhandeln. Der nachgewiesene Mehraufwand ist dem Architekten in jedem Fall zu erstatten, es sei denn, dass der Architekt die Bauzeitüberschreitung zu vertreten hat.“
Das Bauvorhaben verzögerte sich auf Grund des Konkurses des Generalübernehmers und eines vom Bauaufsichtsamt verfügten Baustopps. Der BGH hat in der vereinbarten Klausel eine auch nach dem seinerzeit zwingenden Preisrecht der HOAI wirksame Vereinbarung für den Fall einer Bauzeitverlängerung gesehen. Zwar müssten die Parteien bei Vertragsschluss kein bestimmtes Honorar für eine Bauzeitüberschreitung vereinbaren.