Projektabwicklungsmodelle auf Mehrparteienvertragsbasis gewinnen zunehmend an Bedeutung – auch im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe. Mittlerweile sind dort bereits einige Vergaben durchgeführt worden, weitere stehen unmittelbar bevor oder befinden sich derzeit im laufenden Verfahren. Nachfolgende Ausführungen beschäftigen sich mit Kriterien im Rahmen des Entscheidungsprozesses zur Auswahl eines Abwicklungsmodells und mit weiteren häufigen Fragestellungen – insbesondere aus Sicht der öffentlichen Hand –, die sich im Zusammenhang mit einer möglichen Anwendung ergeben.
A. Ausgangspunkt
Der Titel dieses Beitrages ist gleichlautend dem Titel des im Februar 2020 fertiggestellten Forschungsberichts, den das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit im Rahmen des Forschungsprogramms „Zukunft Bau“ in Auftrag gegeben hat. Die Aufgabenstellung gemäß Forschungsauftrag lautete wie folgt:
I. AUFGABENSTELLUNG
I.1 Projektdarstellung gemäß Forschungsauftrag
Bei Baumaßnahmen mit besonderer Komplexität hinsichtlich Standort, Bedarfsanforderungen, Logistik, Größe, Zeit-, Kostenvorgaben könnte der Abschluss von Bauverträgen in anderer rechtlicher Gestaltung als der des Einheitspreisvertrages (z.B. guaranteed maximum price, target cost, open books, Partnering oder Lean Management etc.) der Projektrealisierung förderlich sein, um Bauzeit, Kosten und Qualitäten einzuhalten oder zu optimieren, ohne gleichzeitig die vertragsrechtlichen und haushalterischen Risiken und Streitpotentiale zu erhöhen. Für das Bauen der öffentlichen Hand auf Basis der VOB/B sollen alternative Vertragsformen zum Einheitspreisvertrag betrachtet und bewertet werden, sowohl unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten, als auch unter Betrachtung wettbewerblicher und bauwirtschaftlicher Fragestellungen. Es soll die Anwendung derartiger Vertragsformen in der privaten und/oder internationalen Bauwirtschaft betrachtet und analysiert werden, ob und inwieweit sie auch im öffentlichen Bauwesen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben Anwendung finden könnten.
I.2 Aufgaben gemäß Forschungsauftrag
Es sollen die wesentlichen Unterschiede, Vorteile und Nachteile des Einheitspreisvertrags einerseits und anderer (im öffentlichen und privaten Bauwesen in Deutschland u.ä. Kulturkreisen in Europa und Übersee verwandter) Vertragsgestaltungen andererseits dargestellt werden, jeweils im Hinblick auf Optimierung von Bauzeit, Kosten und Qualitäten.
Hierbei ist zunächst darzustellen, welche Schwierigkeiten und Probleme bei Vergabe und Ausführung komplexer Hochbauleistungen typisch sind und wo deren Ursachen liegen (Reihenfolge von Planung, Vergabe, Ausführung; getrennte Auftragnehmer für Planung und Ausführung; Qualität der Planung/Objektüberwachung; Anzahl der Beteiligten/Auftragnehmer; Kapazitäten und Kompetenzen des Bauherrn; Konfliktmanagement; Struktur der Zusammenarbeit der Beteiligten während der Ausführungsphase?).
Sodann soll dargestellt werden, welche Vertragsmodelle diese Probleme am besten/effektivsten lösen. Dabei ist vornehmlich auf folgende rechtliche, bauwirtschaftliche und haushalterische Gesichtspunkte einzugehen:
- Inwieweit wäre im Rahmen eines Vergabeverfahrens gemäß VOB/A das jeweilige Vertragsmodell zulässig?
- Wie wäre das Vergabeverfahren zu gestalten, um Kalkulationsrisiken und Planungs- und Nachtragsrisiken gering zu halten?
- Kann die VOB/B unverändert vereinbart werden? Welche Änderungen wären erforderlich?
- Bei geändertem Mustervertrag (abweichend von der VOB/B) sind AGB-rechtliche Gesichtspunkte zu betrachten.
- Ist es möglich, Bau- und Planungsleistungen getrennt und jeweils losweise zu vergeben oder wäre in solchen Projekten eine Zusammenfassung von Losen oder eine GU-/GÜ-/Total-Unternehmervergabe erforderlich?
- Inwiefern steigt oder sinkt der Personal-/Kostenaufwand des Bauherrn/Auftraggebers (jenseits der Baukosten)?
- Welche Rolle spielt die bloße Organisation der Zusammenarbeit der am Bau Beteiligten (Großraumbüros, Vertreter von Bauherr, Planern und Unternehmen in gemischten Teams, ‚gemeinsames Arbeiten für gemeinsames Ziel‘ u.ä.)?
Sofern im Ergebnis (ein) alternative(s) Vertragsmodell(e) für besondere Hochbauvorhaben der Bundesrepublik Deutschland empfohlen wird/werden, sind diese entsprechend zu beschreiben.“
Der Verfasser der vorliegenden Abhandlung als für den vertragsrechtlichen Teil des Forschungsberichts Verantwortlicher hat drei Modelle entwickelt und vorgeschlagen, alle auf Mehrparteienvertragsbasis:
- Modell 1: Rahmenvertrag Kooperation;
- Modell 2: Integrierte Projektabwicklung als Mehrparteienvertrag; Vergütungsbasis abschließende finale Kosten;
- Modell 3: Integrierte Projektabwicklung als Mehrparteienvertrag mit Einheits- oder Pauschalpreisen nach Phase 1.
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung hat kürzlich den Auftrag vergeben, auf Basis dieser drei Modelle Standardverträge für den Bereich Bundesbau bis Ende 2021 zu entwickeln. Daher ist davon auszugehen, dass diesen Modellen über die derzeit zu beobachtende Praxis hinaus weitere Bedeutung zukommt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) entschieden hat, die Einrichtung einer Geschäftsstelle für Großprojekte in der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main (nachfolgend auch bezeichnet als OFD Frankfurt am Main) zu initiieren. Zu den Aufgaben dieser Geschäftsstelle gehört es vornehmlich, den Bundesbauverwaltungen bei der Frage beratend zur Seite zu stehen, ob und unter welchen Voraussetzungen sich komplexe Großprojekte des öffentlichen zivilen Bundesbaus für die Anwendung alternativer Vertragsmodelle eignen.
B. Darstellung der Modelle im Überblick
Nachfolgend zunächst eine vereinfachte Darstellung der Modelle mit Fokus auf einige wesentliche Bestandteile, die für die Entscheidungsfindung für oder gegen den Einsatz eines solchen Modells von zentraler Bedeutung sind. Auf eine grundsätzliche und umfassende Erörterung, welches Modell für welches Projekt unter welchen Voraussetzungen am besten geeignet ist, wird vorliegend angesichts bereits bestehender Ausführungen verzichtet.
Modell 1 ist ein Mehrparteienvertrag, der neben Methoden wie Construction Lean Management Regeln für die Zusammenarbeit aller wesentlichen Planungs- und Bauausführungspartner aufstellt. Er wird neben oder – bildlich gesprochen als „overarching umbrella“ – über bilateralen Verträgen zwischen dem Bauherrn, den Planern und ausführenden Unternehmen abgeschlossen, wobei die bilateralen Verträge die Hauptleistungspflichten (Planen und Bauen), die Haftung hieraus, die Vergütung und zugehörigen Inhalte regeln. Das Modell ist konzeptionell angelehnt an den englischen Framework Alliance Contract (FAC-1) und ist fokussiert auf die Bauausführungsphase, kann aber auch schon zu Beginn der Planungsphase mit entsprechenden inhaltlichen Änderungen zur Anwendung kommen.
Modell 2 surrogiert die Inhalte der bilateralen Verträge aus Modell 1 und ist damit die einzige vertragliche Grundlage für die Rechtsbeziehung(en) zwischen Bauherr und den anderen Parteien. Mit anderen Parteien sind die wichtigsten Vertreter der planerischen und ausführenden Disziplinen gemeint, die für das Gelingen des jeweiligen einzelnen Projekts von herausgehobener Bedeutung sind.
Dr. Wolfgang Breyer, Stuttgart und Dipl. Bauingenieur Robert Karnes, Frankfurt am Main