Ohne die „anerkannten Regeln der Technik“ kommt normalerweise keine Baustelle aus. Private Bauherren stehen dann häufig vor dem Problem, diese Begrifflichkeit mit greifbarem Inhalt zu füllen. Volker Blumenthal, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht erläutert in der aktuellen Ausgabe der Publikumszeitschrift „bauen.“ worauf Bauherren achten sollten, worauf die anerkannten Regeln der Technik“ basieren und wo die die Standards festgelegt sind.
Ob Neubau, Umbau oder Modernisierung – in der neuen Rolle des Bauherrn begegnen einem sehr schnell sehr unbekannte Begrifflichkeiten. Dies umso mehr, wenn es um die sogenannten „anerkannten Regeln der Technik“ geht. Unser Gastautor Rechtsanwalt Volker Blumenthal klärt auf.
Als zukünftiger Jurist lernt man im Studium früh, dass ein Blick ins Gesetz die Rechtsfindung erleichtert. Bei den anerkannten Regeln der Technik ist das jedoch anders. Denn im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dem zentralen Gesetzbuch des allgemeinen Privatrechts, wird dieser Begriff nicht definiert.
Werden die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) in den Werkvertrag einbezogen, bestimmen diese zwar unter § 4 Abs. 2 Nr. 1 S. 2, dass der Auftragnehmer die anerkannten Regeln der Technik bei der Ausführung der Leistung zu beachten hat. Entspricht die Leistung zur Zeit der Abnahme nicht diesen Regeln, so ist sie nach § 13 Abs. 1 S. 2 VOB/B mangelhaft. Um eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs handelt es sich dabei allerdings ebenfalls nicht.
Worauf basieren die anerkannten Regeln der Technik?
Rechtsprechung und Literatur prägen die anerkannten Regeln der Technik. Demnach ist eine technische Regel für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen allgemein anerkannt, wenn sie nach vorherrschender Ansicht der technischen Fachleute sowohl in der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt als auch in der Baupraxis erprobt ist und sich dort bewährt hat. Damit soll sichergestellt werden, dass der Besteller bei Beachtung der anerkannten Regeln der Technik ein gebrauchstaugliches Werk erhält.
Nicht verwechseln mit dem Stand der Technik
Nicht zu verwechseln sind die anerkannten Regeln der Technik mit dem Stand der Technik. Dieser setzt ebenfalls voraus, dass die technischen Maßnahmen bereits entwickelt und realisiert sind. Von den anerkannten Regeln der Technik unterscheidet sich der Stand der Technik aber dadurch, dass er auf eine allgemeine Anerkennung und Durchsetzung in der Praxis verzichtet. Der Stand der Technik beschreibt das technisch Machbare, birgt jedoch die mit neuen noch nicht ausreichend bewährten Bauweisen einhergehenden Risiken. Vor selbigen ist der Bauherr beim Abstellen auf die anerkannten Regeln der Technik geschützt. Diese hinken indessen stets ein Stück weit hinter der weiterstrebenden technischen Entwicklung her.
Wo sind die Standards festgelegt?
Die anerkannten Regeln der Technik sind also dynamisch und verändern sich fortwährend. Auch aus diesem Grund ist die schriftliche Fixierung einer technischen Regel keine zwingende Voraussetzung für ihre Einordnung als anerkannte Regel der Technik.
Häufig existieren dennoch schriftliche Regelwerke, anhand derer die anerkannten Regeln der Technik nachvollzogen werden können. Hierzu gehören beispielsweise DIN-Normen des Deutschen Instituts für Normung e. V., technische Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure e. V. (VDI), Bestimmungen des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik e. V. (VDE) sowie die Energieeinsparverordnung (EnEV), welche zum 1. November 2020 vom Gebäudeenergiegesetz (GEG) abgelöst worden ist.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die DIN-Normen. Bei diesen handelt es sich nicht um Rechtsnormen, solange sie nicht als solche eingeführt werden, sondern um private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Gleichwohl kommt ihnen erhebliche praktische Bedeutung zu. Nach dem Bundesgerichtshof (BGH) gilt die Vermutung, dass die DIN-Regelwerke die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben.
Diese Vermutung ist freilich widerlegbar. Denn nur weil eine technische Regel in einer aktuellen DIN-Norm enthalten ist, ist es noch lange keine anerkannte Regel der Technik Eine DIN-Norm kann die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben oder hinter diesen zurückbleiben. Sie kann gegebenenfalls auch den Stand der Technik aufzeigen. Es gibt also DIN-Normen, die sich erst noch als anerkannte Regeln der Technik durchsetzen müssen und solche, die zuvor schon existierende anerkannte Regeln der Technik festschreiben. Zudem können DIN-Normen auch veraltet sein und als bereits überholte technische Regeln den aktuell anerkannten Regeln der Technik nicht entsprechen.
Die Beudeutung für private Bauherren
Ein BGB-Werkvertrag verpflichtet nach § 631 Abs. 1 BGB den Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes und den Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung. Gemäß § 633 Abs. 2 S. 1 BGB bestimmt sich die geschuldete Beschaffenheit des Werkes vorrangig nach der Vereinbarung der Parteien. Weicht das hergestellte Werk von der vereinbarten Beschaffenheit ab, liegt ein Sachmangel vor. Einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass der Unternehmer bei der Herstellung des Werkes die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik schuldet, ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Welche Beschaffenheit des Werkes der Bauherr und der Unternehmer vereinbart haben, ist durch die Auslegung des zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrages zu ermitteln.
Diese Auslegung führt regelmäßig dazu, dass die Parteien neben konkreten Eigenschaften des herzustellenden Werkes auch die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik als geschuldete Beschaffenheit und Mindeststandard vereinbart haben. Der Unternehmer sichert diese sozusagen stillschweigend zu. Bei einem VOB/B-Werkvertrag ergibt sich dies sogar unmittelbar aus der VOB/B (vgl. oben). Soll die Bauausführung hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben, so muss dies vereinbart werden. In diesem Fall ist der Unternehmer grundsätzlich verpflichtet, den Besteller auf die Bedeutung der anerkannten Regeln der Technik und die mit deren Nichteinhaltung verbundenen Konsequenzen und Risiken hinzuweisen.
Mangelhaftigkeit bei Nichteinhaltung
Werden die (stillschweigend) als Mindeststandard vereinbarten anerkannten Regeln der Technik bei der Bauausführung nicht eingehalten, ist das Werk mangelhaft. Dies regelmäßig auch dann, wenn die Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik keine weiteren nachteiligen Folgen nach sich gezogen hat. Der Besteller kann demzufolge im Fall des BGB-Werkvertrages Gewährleistungsrechte nach § 634 BGB geltend machen. Hat der Besteller Anspruch auf die Beseitigung eines Mangels, so ist er nach § 641 Abs. 3 Hs. 1 BGB ferner berechtigt, nach der Fälligkeit die Zahlung eines angemessenen Teils der dem Unternehmer nach dem Vertrag geschuldeten Vergütung zu verweigern.
Besonderheiten etwas beim Bauen im Bestand
Beim Bauen im Bestand stellt sich die Frage, ob der Standard zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes oder die meist strengeren zum Zeitpunkt des Umbaus oder der Sanierung geltenden anerkannten Regeln der Technik ausschlaggebend sind. Letzteres ist umso eher anzunehmen, je umfangreicher die auszuführenden Arbeiten ausfallen. Die Grenzen sind nicht klar definiert, weswegen sich eine klarstellende schriftliche Vereinbarung dringend empfiehlt.
Problematisch sind auch Änderungen der anerkannten Regeln der Technik während der Bauphase. Der Unternehmer schuldet deren Einhaltung zum Zeitpunkt der Abnahme. Er muss daher den Besteller über etwaige Änderungen nach dem Baubeginn und grundsätzlich auch über die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung aufklären. Besteht der Besteller auf die Einhaltung der neuen Standards, so kann hieraus für den Unternehmer ein Anspruch auf Anpassung seiner Vergütung resultieren.
Volker Blumenthal
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Der Beitrag „Anerkannte Regeln der Technik“ erschien am 16.01.2021 zuerst in der Zeitschrift „bauen. 2-3/2021“.