BGH, Urteil vom 10.11.2020 – VI ZR 285/19 BGB §§ 133, 157, 195, 199, 203, 209, 214
1. Ein Verjährungsverzicht hat regelmäßig nur zum Inhalt, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, bis zum Ende des vereinbarten Zeitraums ausgeschlossen wird; die Verjährungsvollendung wird nicht hinausgeschoben.
2. Erhebt der Gläubiger nicht innerhalb der Frist Klage, kann sich der Schuldner direkt nach Ablauf der Frist wieder auf Verjährung berufen und damit die Leistung verweigern. Erhebt der Gläubiger dagegen die Klage vor Ablauf der Frist, bleibt der Verzicht auch nach Fristablauf wirksam.
3. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Verjährungsverzicht zu einem Neubeginn der Verjährung führt. Hierfür bedarf es aber besonderer Anhaltspunkte.
Problem/Sachverhalt
Im Jahr 2000 wird ein Kind bei der Geburt durch einen Behandlungsfehler geschädigt. Am 04.02.2004 beantragt es (vertreten durch die Eltern) ein Schlichtungsverfahren. Dabei gehen die Beteiligten davon aus, dass Verjährung bereits eingetreten ist. Die Beklagte (Klinik) gibt am 27.11.2006 durch ihre Versicherung folgende Erklärung ab: „In vorbezeichneter Angelegenheit versichern wir Ihnen, auch namens und in Vollmacht des hier versicherten Personenkreises, uns weiterhin bis einschließlich 31.12.2007 nicht auf die Einrede der Verjährung zu berufen.“ Das Kind erhebt 2009 Klage. Die Beklagte erhebt die Verjährungseinrede. Das bleibt beim Berufungsgericht ohne Erfolg. Es nimmt an, dass die Beklagte 2004 auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Denn sonst ergebe ihre Formulierung in der Erklärung vom 27.11.2006, dass sie „weiterhin“ auf die Einrede der Verjährung verzichte, keinen Sinn. Mit Bescheid der Gutachterkommission im Schlichtungsverfahren vom 12.11.2007 habe die Verjährungsfrist von Neuem zu laufen begonnen und sei durch die im Jahr 2009 erhobene Klage rechtzeitig gehemmt worden.
Entscheidung
Anders der BGH. Unter der Prämisse, dass die Verjährung Ende des Jahres 2000 zu laufen begonnen hat, ist der Anspruch des Kindes verjährt. Wenn der Schuldner auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet, hat das auf den Lauf der Verjährungsfrist keinen Einfluss. Die Forderung verjährt nicht später als ohne den Verjährungsverzicht. Der Verzicht hat nur zur Folge, dass der Schuldner sich auf die an sich eingetretene Verjährung nicht berufen darf. Ihn trifft ein „Verbot“, die Einrede zu erheben. Dieses Verbot gilt bei einem befristeten Verjährungsverzicht aber nur dann, wenn der Gläubiger binnen der Frist Klage erhebt. Das Kind hätte also bis zum 31.12.2007 Klage erheben müssen. Das ist nicht geschehen. Denkbar ist allerdings, dass die Parteien einen Verjährungsverzicht vereinbaren, der eine weitergehende Wirkung hat. So hätten die Parteien etwa vereinbaren können, dass die Verjährungsfrist mit Ende des Jahres 2007 neu zu laufen beginnen solle. Für solche Vereinbarungen bedarf es aber besonderer Anhaltspunkte.
Praxishinweis
Die Brisanz der Entscheidung zeigt sich im Detail. Der Senat weist darauf hin, dass grundsätzlich nur die (rechtzeitige) Klageerhebung den Schuldner hindert, die Einrede der Verjährung zu erheben. Andere Hemmungstatbestände haben diese Wirkung nicht. Beispiel: Der Schuldner verzichtet auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2017. Die Parteien nehmen im Dezember 2017 Verhandlungen auf, die im Februar 2018 scheitern. Erst jetzt klagt der Gläubiger. Wenn bereits Verjährung eingetreten war, kann sich der Schuldner auf sie berufen. Denn der Verjährungsverzicht sollte nur für den Fall der Klage gelten, nicht für die Aufnahme von Verhandlungen (BGH, IBR 2014, 1263 – nur online). Verzichtet der Schuldner befristet auf die Einrede der Verjährung, muss also entweder eine Verlängerung der Verzichtsfrist vereinbart oder geklagt werden.
RiOLG Dr. Tobias Rodemann, Ratingen