„Dach komplett erneuert“ = Dach komplett erneuert!

1. Der allgemeine Sprachgebrauch ist als allgemeiner Erfahrungssatz revisibel.

2. Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch des Inhalts, dass unter einem in einem bestimmten Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung der obersten Dachschicht (hier: Bitumenbahnen) zu verstehen ist.

BGH, Urteil vom 06.12.2024 – V ZR 229/23

BGB §§ 133, 157, 433, 434, 437 Nr. 3

 

Problem/Sachverhalt 

Ein Käufer (K) erwirbt im Jahr 2021 von einem Verkäufer (V) ein 1974 errichtetes Einfamilienhaus unter Ausschluss der Gewährleistung. Im vorab überlassenen Maklerexposé heißt es u.a.: „2009 wurde das Dach komplett erneuert, (…).“ Tatsächlich wurden im Jahr 2009 auf dem Dach durch Veranlassung von V lediglich neue Bitumenbahnen verklebt und verschweißt. K verlangt von V die Kosten für eine Dacherneuerung von 20.337,03 Euro.

Das LG Leipzig gibt der Klage bis auf einen Teil der Nebenforderung (u.a. Rechtsanwaltskosten) statt, das OLG Dresden weist sie ab. K habe das Exposé missverstanden, weil auf dem kompletten Dach Bitumenbahnen verlegt und verschweißt worden seien.

 

Entscheidung 

Das sieht der BGH anders. Zu den Soll-Beschaffenheiten gehören auch die Eigenschaften, die K nach den öffentlichen Äußerungen des V erwarten darf, wozu auch Angaben im Exposé zählen. Die Auslegung solcher Angaben kann revisionsrechtlich nur dahin eingeschränkt überprüft werden, ob Denkgesetze, Erfahrungssätze beachtet und die der Auslegung zu Grunde gelegten Tatsachen verfahrensfehlerfrei ermittelt wurden.

Anders ist dies, wenn der Auslegung der allgemeine Sprachgebrauch zu Grunde gelegt wird (1. Leitsatz). Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch, dass unter einem in einem bestimmten Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung der obersten Dachschicht zu verstehen ist (2. Leitsatz).

Der BGH verweist deshalb die Sache zurück, weil kein allgemeiner Sprachgebrauch für die Angaben im Exposé besteht. Das OLG Dresden muss daher anhand der Art des Daches und seines Aufbaus sowie den übrigen Angaben im Vertrag ermitteln, wie K die Angabe im Exposé verstehen durfte.

 

Praxishinweis 

Wirklich spannend sind die „Segelanweisungen“ des BGH für das OLG Dresden: Es ist aufzuklären, wie das Dach aufgebaut ist und wie es zu den Angaben im Exposé genau gekommen ist. Durfte K hiernach die Angaben so verstehen, dass 2009 das gesamte Dach inklusive Unterkonstruktion und Dämmung erneuert wurde, hätte er auch Anspruch auf die damals geltenden energetischen Anforderungen der EnEV 2009. Er darf nämlich die Einhaltung zwingender öffentlicher Anforderungen für die Erneuerungsarbeiten auch ohne besondere Hervorhebung erwarten.

Zu klären ist auch, ob die Angaben im Exposé V ausnahmsweise nicht zurechenbar sind, wofür er darlegungs- und beweispflichtig wäre. Der allgemeine Haftungsausschluss erfasst auch öffentliche Äußerungen des V (BGH, IMR 2016, 478). Zwar muss K die Arglist von V darlegen und beweisen (§ 444 BGB). K kommen aber Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute (BGH, Urteil vom 23.09.2022 – V ZR 133/21, Rz. 16 f., IBRRS 2022, 3354).

Die Haftung wegen Arglist scheidet nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB dann aus, wenn K positiv erkannt hätte, dass im Jahr 2009 auf der Dachfläche nur Bitumenbahnen neu verlegt und verschweißt wurden. Sollte sich eine Haftung des V dem Grunde nach ergeben, kann K auch die fiktiven Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz verlangen. Diese dürfen nach § 287 ZPO der Höhe nach geschätzt werden.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Achim Olrik Vogel, München